Klärungsbedarf
Klärungsbedarf
Ohne vierte Reinigungsstufe passieren Mikroschadstoffe wie Medikamentenreste Kläranlagen ungestört. Am MCI in Innsbruck arbeitet man an einem hybriden, effizienten Filtersystem.
Der Wasserkreislauf steckt voller Überraschungen. Ein Beispiel: Menschliche Rückenschmerzen können zu kranken Fischen führen. Ein häufiger Wirkstoff in schmerzstillenden Salben und Tabletten ist Diclofenac, das nur zu einem Bruchteil vom Körper aufgenommen wird. Bis zu 70 Prozent finden über die Toilette ihren Weg ins Abwasser. Herkömmliche Kläranlagen können die winzigen Spurenstoffe nicht entfernen, sie gelangen wie viele andere Medikamentenreste, Hormone und Ähnliches zurück in die Natur. Dort sammeln sie sich und führen zu Krankheiten und Unfruchtbarkeit bei Wasserorganismen. Martin Spruck vom MCI fasst die Problematik anhand der Gewässerstudie des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus 2017/2018 zusammen: „Wenn man sich durchliest, was alles in den Fließgewässern ist, ist ein ganzer Medikamentencocktail mit unterwegs.“
Schwer greifbar
Wie weitreichend das Problem ist, wurde erst durch bessere Analytik bekannt. Die geringen Konzentrationen sind schwer zu messen, aber oft bereits wirksam, zudem steigt der Arzneiverbrauch. Laut Marc Koch, ebenfalls vom MCI, sei auch nicht immer klar, was schädlich sei und wie weit man die jeweiligen Stoffe entfernen müsse.
Die aktuellen Reinigungsmethoden sind aus unterschiedlichen Gründen nicht flächendeckend einsetzbar. Systeme nach Vorbild von Entsalzungsanlagen brauchen zu viel Fläche und Energie, die vierte Reinigungsstufe nach Schweizer Art ist teuer. Die Behandlung mit Ozon funktioniert, bedeutet aber höhere Sicherheitsanforderungen, außerdem können unbekannte Abbauprodukte entstehen. Spruck, Koch und ihr Team forschen an einem optimierten Hybridansatz: Membranfilter mit eingebetteter Aktivkohle.
Doppelte Barriere
Basierend auf den Ergebnissen eines früheren Projektes, Pharmaqua, entwickelte das Team rohrförmige Membranfasern aus einem gesundheitlich unbedenklichen Kunststoff. Abwasser wird unter Druck durch die feinen Kanäle gepresst, die Poren sind 500-mal kleiner als ein menschliches Haar. Jeglicher Schmutz wird zurückgehalten, nur die winzigen Mikroschadstoffe und Wasser dringen durch. Tiefer in der Membranstruktur eingebettet liegen Partikel pulvriger Aktivkohle, die dank ihrer besonders porösen Beschaffenheit – schon ein Gramm entspricht einer Fläche von 1.000 m2 – die kritischen Moleküle adsorbieren können. Dank der vorgeschalteten Membran kommt die adsorbtionsfreudige Aktivkohle nur mit den Zielstoffen in Kontakt und bleibt länger nutzbar, das gereinigte Wasser tritt durch die Faserwand aus.
Überdosiert
Die Fasern werden für den Betrieb in Module zusammengefasst und wiederaufbereitet, sobald Aktivkohle und Membran beladen sind. Die Spurenstoffe werden mittels Alkohol von der Aktivkohle gespült, um die Membran zu regenerieren. In ihrem Labor testen Spruck und Koch Fasern, Module und eine erste Testanlage mit hoch dosiertem, synthetischem Abwasser. Das erleichtert die Messungen und führt rascher zu Ergebnissen, als wenn man niedrigere Konzentrationen verwenden würde.
Derzeit arbeitet man an Optimierung und Upscaling. Letzteres ist laut Koch bei Membrantechnik relativ einfach: „Je mehr Fläche man hat, desto mehr Schmutzwasser kann man reinigen.“
Testen vor Ort
Eine Kläranlage für den Praxistest hat das Team bereits gefunden, bis Mitte nächsten Jahres soll das System dort einen Teilstrom des Abwassers behandeln. Wo und wie es danach eingesetzt wird, ist noch offen. Nicht an jeder Kläranlage ist das Problem gleich akut: Auch bei geringen Abwassermengen könnten Standorte mit Krankenhausabwässern oder Betriebskläranlagen von Pharmaunternehmen durch die hohen Konzentrationen die geeignetsten Kandidaten sein. „Da ist unser System vielleicht sinnvoller als bei großen Anlagen, wo nur geringe Konzentrationen auftreten“, so Spruck.Dadurch, dass man in Tirol Trinkwasser ausschließlich aus Quellen und Brunnen statt aus Oberflächengewässern beziehe, seien Mikroschadstoffe hierzulande ein reines Abwasserproblem. „Es ist aber relativ einfach, den Kreis zu schließen“, ergänzt Koch – ohne vierte Klärstufe kommt der Flussfisch eventuell belastet auf den Teller.
Die klassischen Klärstufen:
- Mechanische Stufe: Hier werden grobe Schwimm- und Schwebstoffe entfernt.
- Biologische Stufe: Mikroorganismen bauen die organischen Verschmutzungen ab.
- Chemische Stufe: Phosphor wird entfernt
Zur Person
- Dr. Martin Spruck, Msc ist Senior Lecturer für Anlagen- und Prozesstechnik am Studiengang Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik am MCI.
- Dipl.-Ing. (FH) Marc Koch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Studiengang Umwelt-, Verfahrens- und Energietechnik am MCI.