Vier bis acht Prozent der österreichischen Erwachsenenbevölkerung leiden an einem Burnout-Syndrom. Der Experte Michael Sprenger erklärt, welche Warnzeichen, Maßnahmen zur Vorbeugung und Anlaufstellen es dafür gibt.
„Burnout ist nach wie vor nicht offiziell als Krankheit oder Diagnose anerkannt. Aber die Belastung durch beruflichen Stress gibt es“, sagt Michael Sprenger. Seit 2010 ist er Dozent an der Universität Innsbruck und auf die Themen Arbeitsorganisation und Wirtschaftspsychologie spezialisiert. Aber die emotionale Erschöpfung und drastisch sinkende Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sei heute deutlicher definiert. „Man spricht von einem Syndrom mit klarem Bezug auf die Berufswelt. Somit möchte man auch Unternehmen in die Pflicht nehmen, die Arbeit so zu gestalten, dass sie nicht krank macht.“
Warnzeichen nicht übersehen
In seiner eigenen Praxis betreut Sprenger Unternehmen im Bereich mentale Gesundheit und Arbeit in Innsbruck und in Vorarlberg. Das Thema Burnout sei da ein stetiger Begleiter. Doch wenn die Menschen bei ihm sitzen, ist Burnout meist schon voll im Gange. „Die Warnzeichen dafür wurden bewusst oder unbewusst ignoriert. Darunter fallen etwa zu viel Arbeit oder persönliche Veränderungen“, sagt der Experte.
Meist seien Betroffene vom Umfeld bereits darauf aufmerksam gemacht worden, dass irgendetwas nicht mehr stimme. „Das nehmen die Personen so hin und machen weiter wie bisher.“ Die Erkenntnis kommt dann oft zu spät. Dabei gebe es diverse Warn- und Alarmzeichen, die laut Sprenger in drei Ebenen eingeteilt werden können.
- Leistungsebene:
Man fühlt sich erschöpft, es fällt schwer sich ausreichend zu regenerieren, Schlafprobleme treten auf, Fehler passieren und die Konzentration schwindet.
„Die Leistungsfähigkeit verringert sich insgesamt deutlich.“
- Verhaltensebene:
Neue Verhaltensweisen werden wahrgenommen, Hobbies nicht mehr nachgegangen, es bleibt keine Zeit für einen Ausgleich. Man zieht sich zurück, ist gereizter und ohne Energie und man nimmt nicht mehr aktiv am sozialen Leben teil.
„Ebenso häufig findet sich hier ein dysfunktionales Verhalten: Man legt ein negatives Benehmen an den Tag und die Sucht nach Alkohol, Zigaretten oder Medikamenten steigt.“
- Persönlichkeitsebene:
Die Persönlichkeit verändert sich stark, man erkennt sich nicht wieder. Werte, die früher wichtig waren, sind es nicht mehr.
„Da spricht man auch von Depersonalisierung: Die Leute haben das Gefühl, sie bewegen sich weg von dem eigenen Ich.“
Schleichender Prozess
Die Anzeichen seien laut Sprenger allerdings klar vom akuten Stress zu unterscheiden. Dieser sei wichtig, um in verschiedenen Phasen Leistung zu bringen. Bei Burnout handelt es sich vielmehr um einen Dauerstress. „Da reden wir von drei Monaten aufwärts, wo man sich wirklich intensiv in diesem Rad bewegt und keinen Ausweg mehr findet.“
Der Experte rät deshalb dazu, generell sensibel sein zu müssen. Ein Burnout passiere unbewusst und schleichend. „Ich höre im Rückblick immer wieder die gleiche Aussage: Die Betroffenen hätten nie gedacht, dass es so rapide abwärts gehen kann. Den Prozess, dass sie sich in einer Negativspirale befinden, nehmen viele also nicht wahr.“
Wen es betrifft
Aus der Forschung ist bekannt, dass es vulnerablere Personen gibt, die eher in ein Burnout geraten. Etwa jene mit einer höheren Ausgabebereitschaft oder einem hohen Perfektionsstreben und Ehrgeiz. „Da ist es wichtig zu wissen, dass es biologisch und geistig Grenzen gibt, man nicht alles perfekt machen kann und lernen muss, auch mal nein zu sagen.“ Insbesondere der Bereich Zeitmanagement berge Potenziale, um nicht dauerhaft in der Arbeit überfordert zu werden.
„Unabhängig von Alter, Geschlecht und Herkunft sitzen bei mir junge Menschen bis 20 wie auch Personen über 50 Jahre. Da gibt es den kompletten Blumenstrauß im negativen Sinne“, sagt Sprenger. Es komme auch in allen Sparten und Branchen vor. „Ich habe als Kunden Unternehmen im öffentlichen, privatwirtschaftlichen, industriellen und sozialen Bereich sowie aus dem Bankensektor – also wirklich ganz quer durch.“
Burnout vorbeugen
Vor allem das Thema Selbstfürsorge, sogenannte „Self-Care“, sei für Sprenger ein wichtiger Aspekt zur Vorbeugung. „Das verpassen leider viele Leute, doch Self-Care sollte ein permanenter Begleiter sein.“ Denn so wie die Vorsorge auf körperlicher Ebene, sei diese auch auf mentaler Basis wichtig. Aufgrund von Praxis und Theorie ergeben sich für Sprenger auch hier drei Ebenen.
- Körper:
Ausreichender Schlaf, gute Ernährung, aktive Bewegung.
„Wir haben alle nur einen Körper, deshalb ist es wichtig uns darauf zu fokussieren: Was braucht er? Was tut uns gut?“
- Menschen:
Freundschaften pflegen, sich mit anderen Personen unterhalten, Beziehungen eingehen.
„Wir sind soziale Wesen. Das heißt, wir brauchen Kontakte, weil wir ein sogenanntes Anschlussmotiv haben. Dass wir Beziehungen eingehen, ist daher eine ebenso wichtige Prophylaxe.“
- Selbst:
Abschalten und gedanklich nicht bei Arbeit, Alltagsthemen oder Sorgen sein. Sondern: Flow-Momente erleben, im Spaßtrieb sein, Hobbies nachgehen und die Zeit vergessen.
„Wir alle brauchen Momente, wo wir gedanklich komplett abschalten können. Das ist sehr wichtig zum Regenerieren.“
Wachsamkeit in der Arbeit
Doch auch im Berufsleben sei eine entsprechende Vorsorge notwendig. „Es wird immer Situationen geben, wo Stress da ist, wir uns überfordert fühlen und es mal zu viel sein kann. Aber es darf nicht chronisch werden“, warnt Sprenger. Generell sollte man ein Gleichgewicht zwischen Anforderung, Stress und Erholung finden. „Ich unterstütze Unternehmen im Bereich Gesundheitsmanagement, da wird genau auf diese Dinge geachtet.“
Auch die gesetzliche Verpflichtung der Evaluierung psychischer Belastungen zielt darauf ab, Merkmale frühzeitig zu erfassen, die zum Burnout führen. „Alle Unternehmen in Österreich müssen eine sogenannte Gefährdungsanalyse durchführen“, informiert der Experte. „In so einem Prozess sollte es im Unternehmen publik gemacht werden, welche Personen sich um die Themen Gesundheit kümmern und welche Anlaufstellen man nutzen kann.“
Anlaufstellen im Unternehmen
- Führungskraft
- Personalabteilung
- Betriebsrat
Externe Anlaufstellen
- Arbeitnehmerschutz
- Arbeitnehmermedizin
- ArbeitspsychologInnen
Diagnose: Burnout
Wenn jemand mit Burnout diagnostiziert wird, dann ist die Person nicht mehr arbeitsfähig und befindet sich in der Regel im Krankenstand. „Im Schnitt beträgt die Ausfallzeit ein bis drei Monate.“ Vereinzelt gebe es laut Sprenger auch Fälle, die bis zu einem Jahr andauern. Es gehe vor allem darum, erneut Stabilität und Selbstvertrauen aufzubauen, Selbstbewusstsein zu trainieren und die Betroffenen darin zu befähigen, den Alltag wieder zu meistern.
Man dürfe nicht vergessen: „Die Menschen befinden sich in einer Ausnahmesituation. Viele sind hilflos und verzweifelt, ihnen wurde gefühlt der Boden unter den Füßen weggezogen.“ Gemeinsam werden neue Ziele und Perspektiven definiert. Erst im nächsten Schritt könne in Abstimmung mit den ArbeitgeberInnen wieder an eine berufliche Tätigkeit gedacht werden. Um keinen Rückfall zu riskieren, gibt es für die Wiedereingliederung spezielle Einführungsprogramme. „Eine Art schrittweise Rückkehr in den Arbeitsprozess mit 30, 40 oder 50 Prozent.“