Der Lebensmittelhandel hat herausfordernde Zeiten hinter und vermutlich auch vor sich. Nichtsdestotrotz bietet er jungen Menschen unvergleichliche Karrierechancen.
In der Einzelhandelsbranche gaben bei einer Umfrage eines unabhängigen Marktforschungsinstituts im Frühling dieses Jahres 85 Prozent aller Beschäftigten an, ihre Stelle als attraktiv anzusehen – bei den Lehrlingen waren es sogar 100 Prozent. In etwa gleich viele würden ihren aktuellen Arbeitgeber weiterempfehlen. „Das sind beeindruckende Zahlen“, weiß Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands.
Trotzdem mangelt es nach wie vor an Lehrlingen und MitarbeiterInnen. Das lässt sich zu einem guten Teil auf einen allgemeinen Lehrlings- und Mitarbeitermangel zurückführen. Zum Teil wissen aber viele Suchende auch nicht, dass der Handel, und der Lebensmittelhandel im Speziellen, wie fast keine andere Branche Jobs mit Zukunft, Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten bietet – und das alles in einem angenehmen und bekömmlichen Arbeitsklima.
Karriere und Aufstieg
Unter Mädchen ist die Lehre im Einzelhandel beispielsweise der mit großem Abstand meistgesuchte Lehrberuf. Alleine im Lebensmittelhandel werden aktuell rund 2.300 Mädchen und knapp 1.700 Burschen ausgebildet – damit rangiert der Lebensmittelhandel alleine unter allen Lehrberufen unter den Top 5. Dabei stehen angehenden Lehrlingen im Lebensmittelhandel nicht nur ein, sondern viele verschiedene Berufe zur Verfügung:
Einzelhandelskaufmann/- frau, E-Commerce-Kaufmann/-frau, Bürokaufmann/-frau oder Betriebslogistikkaufmann/-frau sind nur einige davon. „Und abgesehen davon, sind Karriere und Aufstiegschancen im Lebensmittelhandel gelebte Realität“, wird der Geschäftsführer des Handelsverbands nicht müde zu betonen: In vielen Märkten übernehmen vermehrt ehemalige Lehrlinge die Führung.
Gewappnet für Krisen
Die Arbeit im Lebensmittelhandel ist zudem nicht bloß zukunftsträchtig und spannend, sondern kann mitunter auch herausfordernd sein: Als 2020 im Zuge der Coronapandemie die ersten Restaurants schlossen und das öffentliche Leben grundlegend ins Hintertreffen geriet, schienen die Supermärkte die großen Gewinner der Krise zu sein. Alle deckten sich mit Vorräten ein und wollten sich für eine bis dahin nie dagewesene lange Zeit daheim vorbereiten. Welche Verantwortung dabei auf den Supermärkten lastete und dass das alles nicht so rosig war wie gedacht, vergessen heute viele: „Der Lebensmittelhandel war in dieser Zeit mit einer noch nie dagewesenen Situation konfrontiert“, erinnert sich Rainer Will. „Die mannigfachen Herausforderungen wurden – u. a. auch unter Mithilfe des Bundesheeres – in Summe gut bewältigt.“ Insgesamt blicke der Lebensmittelhandel auf turbulente Jahre zurück: Auf die bereits erwähnte Coronapandemie folgten Lieferkettenprobleme, eine Energiekostenexplosion samt hoher Inflation, all das begleitet von permanenter Personalknappheit.
Der größte Arbeitgeber
Leider konnte die Umsatzentwicklung in den letzten Jahren nicht mit der Kostenentwicklung mithalten“, fasst Will zusammen. Aufgrund der Anpassungen bei den Kollektivverträgen stiegen die Personalkosten um 16 Prozent. Die Energiekosten liegen heute immer noch um ein gutes Drittel über dem Niveau von 2021. Indexgebundene Mietkosten sind in der Zwischenzeit ebenso gestiegen, während sich die Zinsbelastung vervielfacht hat. Gleichzeitig seien die Umsätze im Jahr 2022 real um 3,2 Prozent zurückgegangen – im Jahr darauf um ein weiteres Prozent. „Heuer gab es im ersten Halbjahr zwar ein Plus von 0,9 Prozent, womit wir aber immer noch weit unter den Werten von 2021 liegen.“ Dem Lebensmittelhandel gehe es also insgesamt lange nicht so gut, wie man allgemein vermuten würde.
Das hinterlasse auch Spuren: Seit 2010 sei die Zahl der Vollsortiment-Supermärkte um 5 Prozent zurückgegangen. Immer mehr Gemeinden seien seither auch ohne einen eigenen Nahversorger geblieben. Dies kündige einen Trend an, der die Branche aufhorchen lassen müsse: Nicht zuletzt, weil der Handel an sich ein Jobmotor ist. 720.000 Beschäftigte machen ihn insgesamt zum größten Arbeitgeber des Landes. 10.000 offene Stellen beim AMS zeigen außerdem auf, dass nach wie vor Arbeitskräfte gesucht werden – und zwar in einer Branche, die von den MitarbeiterInnen einerseits als attraktiver Arbeitgeber gesehen wird und andererseits auch sehr gute Karrierechancen bietet.
Bereit für die Zukunft
Nichtsdestotrotz herrsche im Lebensmittelhandel nach wie vor akuter Lehrlingsmangel. „Dementsprechend intensiv bemühen sich die Handelsunternehmen um talentierte Nachwuchskräfte. Der Handel bietet nicht nur sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze mit der Aussicht auf zusätzliche Prämien, sondern auch die Chance, sich selbst weiterzuentwickeln, in unterschiedliche Bereiche hineinzuschauen und so persönlich zu wachsen.“ Der Handel könne auch und gerade besonders den Anforderungen der „Gen Z“ gerecht werden: Er biete in Sachen Flexibilität, Work-Life-Balance sowie dem Anspruch auf eine sinnstiftende Tätigkeit alles, was man sich wünschen kann. Hinzu kommt, dass sich die Ausbildung mit der Zeit wandelt und stets neue Herausforderungen auf die jungen Talente in der Lebensmittelhandelsbranche zukommen.
Doch Rainer Will weiß: „Eine Ausbildung, mit der man das Rüstzeug für die nächsten 30 oder 40 Jahre Berufsleben hat, kann es nicht geben.“ Was man aber mit Sicherheit sagen kann: Digitale Fähigkeiten, Kommunikationstalent, Kundenorientierung und Führungskompetenzen sind sowohl für einfache MitarbeiterInnen als auch für FilialleiterInnen unentbehrlich.
Neue Wege
Lehrberufe werden laufend an die neuen Bedürfnisse angepasst. „Ein Beispiel ist die zuvor bereits erwähnte E-Commerce-Lehre, die im Jahr 2018 auf Initiative des Handelsverbands eingeführt wurde und sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat.“ 300 Lehrlinge durchlaufen gerade diese Ausbildung, womit sie unter den neuen Lehrberufen zu den beliebtesten zählt. Zukunftsträchtige Ideen, die derzeit hauptsächlich in Nischen eine Rolle spielen, werden zunehmend an Relevanz gewinnen: „Digitale Tools und Datenanalyse sollten fester Bestandteil der Ausbildung sein“, ist sich Will sicher. Beim Thema Nachhaltigkeit werden mit Zero-Waste-Konzepten, klimaneutralen Geschäftspraktiken oder nachhaltigen Lieferketten neue Trends immer mehr an Raum gewinnen. Und Lehrlinge sollten „auch in den Bereichen Kundenkommunikation, Problemlösung und Konfliktmanagement geschult werden, da der persönliche Kontakt weiterhin ein wichtiger Bestandteil im Lebensmittelhandel bleibt“. Denn in erster Linie soll die Ausbildung im Lebensmittelhandel praxisnah, zukunftsorientiert und technologieaffin gestaltet werden – damit auch in Zukunft der Lebensmittelhandel so reibungslos und organisiert funktioniert, wie man es von ihm gerade in herausfordernden Zeiten gewohnt ist.
Zur Person
Rainer Will ist seit 2014 Geschäftsführer des Handelsverbands.
Zahlen und Fakten
- 85 Prozent der MitarbeiterInnen in der Einzelhandelsbranche finden ihren Arbeitsplatz attraktiv.
- Rund 4.000 Lehrlinge werden derzeit im Lebensmittelhandel ausgebildet.
- 87 Prozent würden ihren derzeitigen Arbeitgeber weiterempfehlen.
- 720.000 Beschäftigte machen den Handel zum größten Arbeitgeber Österreichs.