Groß war die Freude am Dienstagabend, als im Hangar 7 in Salzburg die Guide-Michelin-Testergebnisse für Tirol feierlich präsentiert wurden. 20 Betriebe, davon 16 mit einem Stern und gleich vier mit zwei Sternen, sind ein starkes Zeichen für ein kleines Land wie Tirol. Tourismus und Politik platzten dabei fast vor Stolz und Erleichterung – vor allem, weil man sich das neue Selbstvertrauen teuer erkauft hat. Viel öffentliches Geld erhält der Guide Michelin nämlich dafür, dass er sein Test-Team überhaupt nach Tirol entsendet.
Und wenngleich dieses Investment auf den ersten Blick als eines der sinnvolleren erscheint, zeigt das Ergebnis nicht nur die kulinarische Kompetenz Tirols und lässt dadurch eine touristische Abstrahlwirkung erhoffen, sondern wirft bei genauerer Betrachtung auch ein paar Fragen auf:
Warum findet man ausgerechnet am Gastrohimmel der Landeshauptstadt keine Sterne?
Aus touristischer Sicht liegt es vermutlich daran, dass Innsbruck viele Tagesgäste und AusflüglerInnen willkommen heißen darf, die nicht so viel Geld für gutes Essen ausgeben wollen. Das wäre eine Erklärungsmöglichkeit, spontan fällt mir aber auch eine ganz andere ein: Mit gehobener Küche lässt sich meist deutlich schwerer Geld verdienen als mit durchschnittlicher. Ein Ein-Sterne-Restaurant wirtschaftlich positiv zu führen, ist eine Herausforderung, bei zwei Sternen grenzt das aber ans Unmögliche. Die enormen Personalkosten und auch die Wareneinsätze lassen sich nur bedingt an den Gast weitergeben. Wenn dieser sich nicht an der Weinkarte vergreift, ist die Rechnung zwar auch hoch, kann aber trotzdem oft gerade einmal die Kosten decken.
Kurzum: Die Innsbrucker Gastronomie hat sich – mit ein paar wenigen Ausnahmen – auf Durchschnittlichkeit und Effizienz spezialisiert, das Gegenteil der Sternewelt sozusagen. Das stört den Gast nicht weiter – er kennt das ja aus anderen Städten –, lässt den Einheimischen jedoch mit einer enormen Restaurantdichte und trotzdem wenigen freudvollen Optionen zurück.
Denn was bei den BetreiberInnen der 20 ausgezeichneten Betriebe auffällt, ist nicht nur, dass viele in touristischen Hotspots leben, sondern vor allem, dass viele nicht wirklich vom Lokal selbst leben müssen.
Beispielhaft dafür steht die Paznaunerstube im schicken Hotel Trofana Royal in Ischgl. Ob sie Gewinne erwirtschaftet, ist letztendlich nebensächlich, denn sie unterstützt die kulinarische Kompetenz des Hauses, und wahrlich nicht jedes Hotel darf behaupten, ein Sterne-Lokal zu beheimaten. Die Umwegrentabilität legitimiert unrentable Sterne-Lokale ganz locker, man verdient mit den Zimmern oder wie in diesem Beispiel auch mit Après-Ski – das Sterne-Restaurant ergänzt sozusagen ein Gesamtkonzept und wird nicht als eigenes Profitcenter wahrgenommen. Ganz ähnlich verhält es sich vermutlich ein paar Meter weiter in Benjamin Parths Stüva, einem von vier Zwei-Sterne-Lokalen in Tirol. Würde es dieses wahrlich außergewöhnliche Restaurant überhaupt geben, wenn es nicht im eigenen Hotel beheimatet wäre?
Vereinfacht gesagt, könnte man auch festhalten: Sterne-Restaurants muss man sich leisten können und wollen. Die Dichte in Tirol ist natürlich auch dem Tourismus bzw. den Gästen zu verdanken, aber vor allem den UnternehmerInnen und Küchenchefs, die nach Perfektion und etwas Besonderem streben, die sich selbst diesen Luxus auch wirklich leisten wollen und letztendlich können. Denn, da sind sich vermutlich alle einig: Leichter kann man sein Geld ohne Sterne verdienen.