Hanf hat im Alpenraum eine lange Geschichte. Nach einer Zäsur nach dem Zweiten Weltkrieg steht der Alleskönner nun vor einem Comeback – nicht zuletzt dank des zunehmenden Drucks, CO2-Bilanzen zu senken.
Bis ins 20. Jahrhundert war Hanf weit verbreiteter Lieferant für Fasern und mehr, auch in Tirol“, weiß Valentine Troi, Projektleiterin von Alpenhanf 360°. Die Nutzpflanze war Rohstoff für Gewebe, Seile und mehr. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich das schlagartig: „Nicht nur weil Kunstfasern auf den Markt drängten“, weiß Troi „sondern auch, weil der Hanf wegen des THCs und dessen berauschender Wirkung in Verruf geraten ist.“ So verschwand die Kulturpflanze von den Feldern Westeuropas.
Besser als Plastik
Doch es bahnt sich ein Revival an: Die EU hat mittlerweile über 50 praktisch THC-freie Varianten des Gewächses zugelassen. Zudem hat Hanf Eigenschaften, die ihn oft zur deutlich besseren Option machen als Nylon, Polyester und Co. „Wir haben es hier mit einer schnell wachsenden, genügsamen Pflanze zu tun, die zu einer Vielzahl von Produkten verarbeitet werden kann“, erklärt Troi. Gut drei Meter hoch kann Hanf werden – und das ohne Bewässerung und gänzlich pestizidfrei, weil ihre Blätter früh den Boden beschatten und das Wachstum von Konkurrenten hemmen.
Alleskönner
Einmal geerntet, können Hanffasern nicht nur zu Geweben verarbeitet werden, sondern auch zu hochfesten Verbundstoffen. Im Inneren der Hanfstängel findet sich ein verholzter Teil, der sich zur Produktion leichter, belastbarer und biologischer Baustoffe eignet. „Und in der Lebensmittelindustrie kommen Samen und Blätter sowie das daraus gepresste Öl zum Einsatz. Aus den Blüten können außerdem Extrakte für die Pharmazie gewonnen werden“, weiß die Projektleiterin. Was nicht verarbeitet wird, liefert Energie: Dank seines rapiden Wachstums bietet sich Hanf zum Einsatz in Biomassekraftwerken an. Und selbst nachdem die Pflanze verarbeitet wurde, hinterlässt sie Spuren: Im Fruchtwechsel angepflanzt, lockert sie das Erdreich und kann den Ertrag danach gesäter Feldfrüchte signifikant steigern – „bei Mais um bis zu 20 Prozent“, zitiert Troi ihre Partner aus der Landwirtschaft.
Früh verwurzelt
Die Nutzung und die Weiterentwicklung des Potenzials der Nutzpflanze voranzutreiben, hat sich Alpenhanf 360° unter der Leitung von Troi auf die Fahnen geschrieben. Von der Lebensraum Tirol Holding und der Standortagentur Tirol unterstützt sowie von der ARGE Alp finanziert, um die Entwicklung der aufblühenden Technologien zu forcieren und fest in Tirol zu verankern, fungiert das Projekt seit einem Jahr als Knoten zwischen HanfzüchterInnen und -nutzerInnen. „Wir stehen da ein wenig vor dem Henne-Ei-Problem“, beschreibt Troi. „Um die Produkte – das Ei – hervorzubringen, brauchen wir die Henne – also den Hanfanbau. Aber ohne Eier gibt’s nicht viele Hennen.“ An dieser Schnittstelle setzt Alpenhanf 360° an: Anstatt nur eine Seite zu fördern, treibt das Projekt die Vernetzung der beiden Bereiche voran, sodass sich Angebot und Nachfrage gegenseitig hochschaukeln.
Know-How-Schmiede
Regional werden es langfristig hierzulande allerdings vor allem die „Eier“, also die Produkte und deren Entwicklung, sein, die sich etablieren werden, meint Troi. Denn während auch in Tirol Hanf angebaut werden kann und wird, seien wir kein Agrarland. Doch dank Universitäten, Hochschulen und mehr biete sich fruchtbarster Boden für Innovationen. Alpenhanf unterstützt mittlerweile Unternehmen mit Erfahrung und Know-how bei der Umsetzung ihrer Projekte: von der Tirol-Mütze aus Hanffasern und Bergschafwolle über hanfbasierten Filz und Walk bis zu Skiern aus Hanfverbundstoff, die bei SpurArt entwickelt wurden.
Überlebensstrategie
Das sind allerdings nur die sichtbaren Projekte. Auch in der Industrie und im Bauwesen hat Hanf Zukunft – nicht nur, weil der Biowerkstoff hervorragende technische Eigenschaften mitbringt, sondern auch, weil er CO2 bindet. „Die Nachfrage nach solchen gewachsenen Kohlendioxidspeichern boomt seit rund drei Jahren“, weiß Troi. „Autohersteller, Hoch- und Tiefbauunternehmen und mehr sind sich bewusst geworden, dass sie dringend ihren Ausstoß senken müssen.“ Dabei geht es nicht „nur“ um den Klimaschutz: Im Angesicht von CO2-Abgaben und mehr sind Konzerne auch wirtschaftlich auf Werkstoffe angewiesen, die ihre Bilanz ausgleichen.
Ein neuer Kreislauf
Damit hat Hanf viel Potenzial: für LandwirtInnen als relativ klimafeste Einnahmequelle ebenso wie für ProduzentInnen, vom Kleinunternehmen bis zum Konzern. Größer gedacht, können aber auch Regionen profitieren. „Mit Alpenhanf 360° sind wir Teil eines europaweiten Netzwerks“, bestätigt Troi. „Das gibt uns nicht nur die Chance, Technologien voranzutreiben, sondern auch Wertschöpfungsketten neu zu gestalten.“ Anstatt sich auf globale Vernetzungen zu verlassen, hofft Troi, die Hanfwirtschaft als innereuropäisches Projekt zu entwickeln. „Gewissermaßen, um mit einer alten Kulturpflanze eine neue Form der Kreislaufwirtschaft wachsen zu lassen, in der Anbau, Entwicklung, Produktion und Recycling wieder direkt ineinandergreifen.“
Zur Person
Valentine Troi hat Architektur studiert und legt ihren Fokus schon seit einer Weile auf die Materialwissenschaften – nicht zuletzt mit dem von ihr gegründeten Unternehmen
troi.composite components. Für die Standortagentur Tirol betreut sie das von der ARGE Alp finanzierte Projekt Alpenhanf 360°.