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Das EKG in der Hosentasche

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Mobiltelefone haben viel ungenutztes Potenzial – auch in der Medizin. Das „Austrian Digital Heart Program”, ein österreichweites Projekt, das von der Medizinischen Universität Innsbruck ausgeht, soll nun die Früherkennung und Therapie von Herzrhythmusstörungen revolutionieren.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Um einige „Volkskrankheiten” wie den Bluthochdruck herrscht dabei mittlerweile auch in der Bevölkerung Bewusstsein. Doch andere wie das Vorhofflimmern, das ebenso bedrohlich ist, sind deutlich weniger bekannt. „Dabei liegt dessen Lebenszeitrisiko bei rund 30 Prozent”, erklärt Axel Bauer, Direktor der Universitätsklinik für Kardiologie und Angiologie und Mentor des „Austrian Digital Heart Program”. Das bedeutet, dass einer von drei Menschen in Österreich irgendwann in seinem oder ihrem Leben an Vorhofflimmern leidet.” Und weil es häufig episodisch auftritt und wenig Beschwerden verursacht, ist die Früherkennung schwierig. Im Rahmen des von der Ludwig Boltzmann Gesellschaft geförderten Programms wird eine digitale Früherkennungs- und Behandlungsstrategie entwickelt, die in das österreichische Gesundheitssystem implementiert und deren Nutzen nachgewiesen werden soll.

Kommunikationsversagen

Ursachen für Vorhofflimmern gibt es viele – unter anderem Bluthochdruck, Herzschwäche, aber auch das Alter sind wichtige Faktoren. Typisch für Vorhofflimmern ist ein „Kommunikationsproblem” im Herzen: „Man kann sich das Herz wie einen Chor vorstellen”, beschreibt Bauer. „Als Dirigent fungiert dabei der sogenannte Sinusknoten. Bei einem gesunden Herzen gibt er den Takt an, und die einzelnen Teile des Herzens agieren ihm entsprechend aufeinander abgestimmt, sodass es rhythmisch pumpt.” Beim Vorhofflimmern kommt es jedoch zu einer Störung der Signalverarbeitung: Die Vorhöfe beginnen unkontrolliert und aus dem Rhythmus zu arbeiten. Dadurch verliert das Herz an Leistung und es besteht die Gefahr der Entstehung von Blutgerinnseln. „Diese können in den Blutkreislauf gelangen und so Schlaganfälle verursachen.”

Licht und Linsen

Beim Vorhofflimmern treten häufig kaum Beschwerden auf. Und selbst wenn es sich bemerkbar macht, ist eine Episode oft vorbei, bis eine Diagnose mittels EKG gestellt werden kann. Diese diagnostische Lücke nehmen Mediziner nun an der Medizinischen Universität Innsbruck gemeinsam mit Forschern anderer Disziplinen und mehrerer Institutionen in ganz Österreich ins Visier. Und dabei machen sie sich Hightech zunutze, das heute nahezu jeder in der Tasche hat: „Mobiltelefone sind mittlerweile nicht nur mit beachtlicher Rechenleistung ausgestattet, sondern auch mit hochauflösenden Kameras und einer Lichtquelle als Blitz”, sagt Sebastian Reinstadler, der das „Austrian Digital Heart Program” leitet. Mehr brauchen die Mediziner nicht, um einen Verdacht auf Vorhofflimmern deutlich zu erhärten: Eine eigens entwickelte App ist in der Lage, den Herzrhythmus zu messen, wenn BenutzerInnen ihre Fingerspitze auf die Kameralinse legen. „Wir nutzen dazu leichte Veränderungen in der Färbung des Gewebes, die jedes Mal entstehen, wenn sich die Blutgefäße mit sauerstoffgesättigtem Blut füllen”, beschreibt er.

Ausgewählte NutzerInnen

In einem ersten Schritt werden alle notwendigen digitalen Tools entwickelt. „Zum einen arbeiten wir an einer App”, sagt Reinstadler. „Weil es sich bei den Risikogruppen vor allem um ältere Menschen handelt, muss diese möglichst einfach und intuitiv zu bedienen sein.” In weiteren Teilprojekten wird die dafür nötige digitale Infrastruktur aufgebaut. Denn die App soll via ELGA in das öffentliche Gesundheitssystem eingebunden werden.

Neue Größenordnung

In zwei Jahren werden die erarbeiteten digitalen Tools einsatzbereit sein. Anschließend werden diese in einer groß angelegten, digitalen Studie auf ihren Nutzen für die Bevölkerung hin untersucht. „Dabei hoffen wir auf rund 40.000 Mitwirkende bundesweit”, sagt Michael Schreinlechner, stellvertretender Projektleiter des „Austrian Digital Heart Program”. Möglich wird das durch die dezentralisierte Herangehensweise, die erst dank der weiten Verbreitung von Mobiltelefonen und deren Einsatz als Messgeräte machbar ist. Sind ProbandInnen einmal gefunden, nehmen sie tägliche Messungen vor, die nur wenige Sekunden in Anspruch nehmen. Stellt die App Vorhofflimmern fest, werden sie an die medizinische Ansprechperson weitergeleitet – inklusive einer Empfehlung für das weitere Vorgehen.

Großes Potenzial

Vom „Austrian Digital Heart Program” erhoffen sich die Wissenschaftler zukunftsweisende Resultate – und das gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen soll die Früherkennung und Behandlung von Vorhofflimmern durch digitale Methoden revolutioniert werden. Zum anderen soll der Einsatz von digitaler Medizin insgesamt weiter vorangetrieben werden und der Bevölkerung diese Tools niederschwellig zur Verfügung gestellt werden. „Das kann nicht nur maßgeblich zur Früherkennung von verschiedensten Erkrankungen beitragen, sondern wird längerfristig auch einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems leisten”, ist Axel Bauer überzeugt. Zugleich ist der digitale und dezentralisierter Ansatz auch für die Forschung vielversprechend: Können Messungen bequem, mit wenig Zeitaufwand und zuhause vorgenommen werden, anstatt auf medizinische Einrichtungen angewiesen zu sein, erhöht das nicht nur die Zahl der potenziellen ProbandInnen, sondern auch die Messdichte deutlich.

Datenschatz

Zum anderen entsteht im Rahmen der Messungen auch eine Bio-Datenbank von unschätzbarem Wert. „Ist die Studie abgeschlossen, werden uns die Biodaten von Zig-Tausenden vorliegen – natürlich anonymisiert und datenschutzrechtlich abgesichert”, versichert Bauer. „Und ich kann nahezu garantieren, dass sich darin viele spannende Korrelationen entdecken lassen werden, an die wir noch nicht einmal gedacht haben – insbesondere, wenn wir daran denken, was uns dann für Werkzeuge zur Auswertung zur Verfügung stehen werden.

BauerAxel
Axel Bauer ist gebürtiger Traunsteiner und war ärztlicher Leiter der Kardiologie des Innenstadtklinikums der Ludwig-Maximilians-Universität in München, bevor er 2019 die Leitung der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin III - Kardiologie und Angiologie antrat.

Reinstadler Sebastian Sebastian Reinstadler hat in Innsbruck und Padova Medizin studiert. Heute ist er als Oberarzt und zweiter stellvertretender Direktor an der Abteilung für Kardiologie und Angiologie der Universitätsklinik für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck tätig.

SchreinlechnerMichael Michael Schreinlechner ist stellvertretender Projektleiter und Oberarzt an der Abteilung für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Universität Innsbruck.

17. November 2023 | AutorIn: Daniel Feichtner | Foto: Axel Springer

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