Über Jahrhunderte hinweg waren Bauern bei der Bewirtschaftung ihrer Höfe auf Bauchgefühl und tradiertes Wissen angewiesen. Heute kommen stattdessen Hightech und Präzision zum Einsatz.
Frühmorgens aufstehen, händisch die Stallarbeit erledigen und bei der Bestellung der Felder die alten Bauernregeln beachten – so sieht der Beruf von Landwirten bis heute in den Köpfen vieler aus. Mit viel Arbeit verbunden ist er noch immer, doch das Streben nach höheren Erträgen, effizienterem Arbeiten und Schonung von Ressourcen haben in der Branche längst hochtechnologische Lösungen hervorgebracht. Diese schaffen aber nicht nur Erleichterung, sondern auch neue Herausforderungen, besonders was die Verwendung der erhobenen Daten angeht. Ungeachtet der Debatten wächst der Subsektor für Hightechunternehmen und Start-ups, die innovative Services und Systeme anbieten, stetig. Zu Letzteren zählt auch die Innsbrucker Firma Optronia. Sie wurde vor zwei Jahren gegründet und hat sich auf die Entwicklung von optischen Sensoren spezialisiert, die in unterschiedlichen Bereichen des Tertiärsektors zur Anwendung kommen.
Gezielte Unkrautbekämpfung
Die von Landwirten bestellten Flächen sind mit den technologischen Möglichkeiten deutlich gewachsen und stellen dadurch neue Anforderungen. Kilometerbreite Felder, wie es sie zum Beispiel in den USA oder Australien gibt, können nur dank riesiger, GPS-gesteuerter Landmaschinen bewirtschaftet werden. Die Analyse des Untergrunds mittels Satellitenbild ist ebenso Teil des Fortschritts wie die massive Verwendung von Spritzmittel gegen Schädlinge, Unkraut und Pilze. Eines der bekanntesten Mittel ist das umstrittene Glyphosat, das in großem Stil eingesetzt wird – egal ob an der betreffenden Stelle nun Unkraut wächst oder nicht.
90 % geringeren Sprühmittelverbrauch verspricht Optronia im australischen Projekt.
Ein präziseres Vorgehen strebt Optronia in einem Pilotprojekt in Australien an. Partner ist einer
der größten Hersteller jener Sprühwerke, die die Chemikalien ausbringen. „Die Sprüher können
zwischen 24 und 60 Meter breit sein“, erklärt Nicola Baldo, Geschäftsführer von Optronia, die
Dimensionen der Geräte. Sie werden mit Sensoren ausgestattet, die in der ersten Projektphase zwischen dem Grün der unerwünschten Pflanze und dem Braun des nackten Bodens unterscheiden. Nur wenn der Sensor Chlorophyll, den grünen Farbstoff in Blättern, wahrnimmt,
wird an dieser Stelle die Düse geöffnet. In der zweiten Phase soll anhand des Grünindex Unkraut auch zwischen anderen Pflanzen erkannt werden. Schon auf brachem Feld sieht Baldo großen Nutzen: „Das reduziert die Nutzung von Chemikalien um bis zu 90 Prozent.“ Hinzu kämen weitere Vorteile: geringere Verschmutzung des Bodens, Kostenersparnis durch geringeren Spritzmittelverbrauch und weniger zurückgelegte Strecken. Im australischen Projekt müssen die Traktoren nämlich bis zu 20 Kilometer fahren, um nur zum Feld zu gelangen. Ist dann bei ungezieltem Einsatz der Tank nach einer Stunde leer, aber ein Gutteil der Fläche noch unbehandelt, heißt es zurückfahren und auftanken.
Obsthainanalyse
Der durchwachsene Ruf mancher Pflanzenschutzmittel hat die Bestrebungen nach Reduktion vorangetrieben. Muss die Chemikalie nur den Boden erreichen, sind die Düsen noch recht genau. Sind sie aber vertikal angeordnet, wie es beim Spritzen von Obstbäumen der Fall ist, schaffen Lücken zwischen den Bäumen, im Blätterdach oder ein Reihenwechsel Raum für Verschwendung. „Mit herkömmlichen Sprühern landen nur 20 Prozent der Chemikalien auf den Bäumen, die restlichen 80 Prozent fallen zu Boden“ umreißt Baldo das Ausmaß. Ihm zufolge kommt noch hinzu, dass die zu verwendende Menge an Sprühmittel in der EU nach Hektar berechnet werden müsse und nicht, wie etwa in der Schweiz, exakt nach Oberfläche der einzelnen Bäume. Die Plantagen in Resteuropa seien sehr viel größer, daher rentiere sich die Schweizer Berechnung nicht. „Wenn die Bauern nach dem Sprühen noch Flüssigkeit im Tank haben, müssen sie diese in der EU dem Gesetz nach noch aufbrauchen. Manche schütten den Rest dann einfach weg“, erläutert er.
5 ha sind laut Baldo die Mindestgröße von Obsthainen, ab der sich der Einsatz von Sensoren lohnt.
Im italienischen Trentino, einem der größten Apfelanbauregionen Europas, führt Optronia derzeit ein Projekt zur Optimierung des Spritzens auf Obstplantagen durch. Die eingesetzten Sensoren reagieren wieder auf das Chlorophyll. Wie im australischen Projekt öffnen sich die Düsen nur dann, wenn sie tatsächlich Blätter vor sich haben, wodurch die eingesetzte Menge an Spritzmitteln laut Baldo zwischen 40 und 70 Prozent reduziert werden kann. Ebenfalls möglich: die automatische Erstellung einer digitalen Karte der Bäume, mit der sich die benötigte Spritzmittelmenge genau ermitteln ließe. Baldo geht davon aus, dass sich allein dadurch 10 bis 20 Prozent des Spritzmittels erübrigen würden, durch die vorgegebene Berechnung über Hektar sei die Anwendung aber noch nicht möglich. Ebenfalls noch Zukunftsmusik ist die Auswertung des Chlorophylls in jeder Pflanze, mit der man den Gesundheitszustand der Bäume erheben könne.
Hoheitsfrage
Optronia ist nicht die erste Firma, die mit Sensoren Problemstellungen in der Landwirtschaft lösen will. Ihr Vorteil liegt laut dem Geschäftsführer in der Bauart der Sensoren. Bisher habe die Konkurrenz auf Mehrzweck- und damit teurere Modelle gesetzt, die unter diversen Bedingungen arbeiten können. Die Sensoren seines Unternehmens würden dagegen speziell für den jeweiligen Verwendungszweck entwickelt, was die Kosten drücke. Im nächsten Jahr möchte man so weit sein, die Systeme an die ersten Kunden zu bringen.
80 % der Chemikalien landen laut Baldo bei vertikalem Sprühen am Boden statt am Baum.
Zur Konkurrenz des Start-ups gehören auch die großen IT- und Agrarkonzerne. Sie bieten Datenerhebung und -zusammenführung aus einer Hand bereits als Service für Landwirte an. Das könnte allerdings zu Abhängigkeitsverhältnissen führen, wie sie schon von manchen Saatgutherstellern bekannt sind. Optronia wird seine Systeme, sobald sie fertig entwickelt sind, zunächst verkaufen. Baldo glaubt nicht, dass die Bauernschaft mit anderen Wegen der Nutzung zufrieden wäre: „Viele Bauern sind sehr traditionell, sie kaufen ihre Maschinen, sie wollen sie besitzen.“ Ein Leasingmodell könne man sich dann später überlegen. Einige Landwirte scheinen Besitztum aber bereits hintanzustellen – ob aus wirtschaftlichen oder ideellen Gründen, sei dahingestellt. Im Rahmen des Maschinenring gibt es in Österreich nämlich eine Organisation, deren Mitglieder sich teures Gerät teilen.