Künstliche Intelligenz ist im Begriff, ein wertvolles Werkzeug für MedizinerInnen zu sein. Dafür braucht es aber Trainingsdaten. Daran, wie diese künstlich erzeugt werden können, arbeitet ein Team im Tiroler Schlaganfall-Forschungszentrum Vascage.
Daran, dass Künstliche Intelligenz der nächste große technologische Sprung ist, herrschen kaum Zweifel. Die Technologie birgt enormes Potenzial, nicht zuletzt in der Medizin. „KI ist im Begriff zu einem mächtigen Werkzeug für WissenschaftlerInnen und ÄrztInnen zu werden“, bestätigt Karl Fritscher, Bioinformatiker und Datenwissenschaftler beim Forschungszentrum Vascage, das unter anderem von der Standortagentur Tirol unterstützt wird. Dort befasst er sich mit bildgebenden Verfahren wie Computer- und Magnetresonanztomographien, sogenannten CT- und MRT-Aufnahmen. „Dabei tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf, sowohl in der Forschung und Entwicklung als auch in der Diagnose und Behandlung, nicht zuletzt von Schlaganfällen.“
Noch gilt es dabei Hürden zu überwinden. Eines der größten Probleme ist die Verfügbarkeit von Daten. „Eine KI lernt aus Informationen“, erklärt Fritscher. „Um sie zu trainieren, sind wir auf gute und vor allem umfassende Daten angewiesen.“ Aber solche sind gerade im medizinischen Bereich nicht immer vorhanden.
Lückenhaft
Das hat mehrere Ursachen. So gibt es bei vielen Erkrankungen reichlich Bildmaterial von fortgeschrittenen Stadien, von den Frühphasen aber deutlich weniger. Von gesunden Personen werden in der Regel sehr wenige CTs oder MRTs angefertigt. „Paradebeispiel ist die Osteoporose“, sagt Fritscher. Bei der meist altersbedingten Erkrankung nimmt die Dichte der Knochen immer weiter ab. Das führt zu einem erhöhten Risiko von Brüchen. „Aber damit eine KI erkennt, ob ein Knochen betroffen ist, muss sie wissen, wie er im gesunden Zustand aussehen würde.“ Zudem sind nicht alle Krankheiten gleich verbreitet, treten nicht bei beiden Geschlechtern gleich häufig auf und mehr. „All das führt zu einer Imbalance der Daten“, weiß Fritscher.
Schritt für Schritt
Daran, dieses Problem zu lösen, arbeitet Vascage seit mittlerweile zwei Jahren – und auch hier ist die Lösung, paradoxerweise, KI. Dazu verwenden die EntwicklerInnen im ersten Schritt echtes Bildmaterial. Damit trainieren sie eine bildgenerierende KI, die lernt, was die Aufnahmen ausmacht – und dann mehr Bilder erzeugt, die denselben Gesundheitszustand abbilden. Damit sollen die Lücken im ursprünglichen Trainingsdatensatz geschlossen werden. „Wir benutzen ein neuronales Netzwerk, das nach einem Belohnungs-System arbeitet“, erklärt Fritscher. Ein echtes Trainingsbild wird einem digitalen „Entscheider“ gezeigt. Die KI beginnt erst völlig willkürlich, Bilder zu generieren. Der „Entscheider“ bewertet dann, wie ähnlich sie dem Original kommen und vergibt entsprechend Punkte. „So lernt die KI Schritt für Schritt, was der ‚Entscheider‘ von ihr will und nähert sich dem Ideal an, bis wir ein Modell haben, das die perfekte Darstellung eines bestimmten Krankheitsbilds erzeugt.“
Permanente Kontrolle
Parallel dazu entwickeln Fritscher und sein Team Methoden, die sicherstellen, dass die KI keine Fehler macht, die sich fortpflanzen könnten. Dazu benutzen sie verschiedene mathematische Methoden: „Die einfachste ist es, unsere KI eine Aufnahme genau replizieren zu lassen – also nicht kopieren, sondern sie neu generieren“, erklärt Fritscher. „Wenn wir dann diese Aufnahme mit dem Original vergleichen, sehen wir sofort, ob es irgendwo Abweichungen gibt.“ Zudem gibt es noch komplexere Ansätze, mit denen permanent überprüft wird, ob die KI-generierten Bilder dem Standard gerecht werden.
Ausbaupotenzial
Bislang haben sich die WissenschaftlerInnen vor allem auf Knochen fokussiert, befassen sich mittlerweile aber auch mit anderen Organen. „Dass wir mit dem Skelett begonnen haben, hat sich aus einem Projekt ergeben, in dem wir den Zusammenhang zwischen Schlaganfall und Knochenbruch-Risiko untersuchen“, meint der Data Scientist. „Schlussendlich ist es vielleicht nicht egal, aber zumindest nebensächlich, welche anatomischen Strukturen die ersten waren. Die KI auf andere Bereiche zu adaptieren, ist relativ einfach.“ Natürlich würden solche experimentellen KI-Systeme weiter klinisch überprüft werden müssen, bevor sie ihren Weg in die Praxis fänden.
Personalisiert
Und einmal trainiert wird ein solches System noch mehr können: Stehen ihm ausreichend Daten über die Ausprägung von Erkrankungen in frühen und späten Stadien zur Verfügung, können damit auch Bilder zu Zwischenschritten generiert werden, erklärt er. „Das wäre dann ein sehr wertvolles Instrument in der Früherkennung.“ Eines der ultimativen Ziele wäre jedoch die Analyse persönlicher Daten, um Veränderungen frühzeitig zu entdecken. „Jeder Mensch hat im EKG, beim Blutdruck und mehr individuelle ‚Normalwerte‘“, erklärt der Bioinformatiker. Was für eine Person normal sei, könne bei jemandem anderen bereits auf eine Veränderung hindeuten. „Eine KI, der zum Beispiel von einer Smartwatch erfasste EKG-Werte einer Person vorliegen, könnte solche Unregelmäßigkeiten früher erkennen und darauf hinweisen.“, ist Fritscher überzeugt. „Das würde Leben retten und nicht zuletzt die medizinische Versorgung langfristig entlasten.“
Karl Fritscher ist seit März 2024 Leiter der Data Science Abteilung von Vascage. Er hat Medizin und Medizininformatik studiert.