In Haushalten und in der Industrie ist das Internet of Things schon lange angekommen. Forscher und Studierende der FH Kufstein Tirol bringen nun die dafür entwickelte Netzwerktechnologie ins Gebirge und helfen, wertvolle Klimadaten zu erheben.
Bislang dienten Gletscher mit ihrem – vorerst – ewigen Eis der Wissenschaft vor allem als „Tresore“, mit denen sich die Vergangenheit entschlüsseln ließ. Doch mit dem Klimawandel beginnen die Eismassen zu schrumpfen und kommen zusehends in Bewegung. Das macht ihre Beobachtung immer wichtiger. „Zum einen als Indikator für das Fortschreiten der globalen Erwärmung“, weiß Martin Schafferer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Wissenschaftsingenieurwesen, Smart Products & Solutions an der FH Kufstein Tirol. Denn an den fragilen Systemen zeigt sich besonders früh und deutlich, wie weit die globale Temperatur aus dem Ruder läuft. „Zum anderen geht es auch um alpine Sicherheit. Mehr Bewegung bedeutet mehr Gefahr von Felsstürzen, Hangrutschen und weitere Bedrohungen.“
Handarbeit
Doch die Aufzeichnung von Gletscherbewegungen ist mit viel Aufwand verbunden: Aktuell müssen Glaziologen mit teurem Gerät vor Ort sein, um die Messungen vorzunehmen. „Da sprechen wir schnell von ein paar tausend Euro alleine für die Ausrüstung“, meint er. „Und dann dauert das Vermessen selbst auch seine Zeit.“ Das limitiere nicht nur, wie viele Punkte gemessen werden, sondern auch in welcher Frequenz.
Überzeugt, dass es eine bessere Lösung geben muss, nahm sich Schafferer gemeinsam
mit Studierenden an der FH Kufstein Tirol diesem Problem im Projekt Alpine-IoT unter der Leitung von Thomas Schmiedinger, stellvertretender Studiengangsleiter Smart Products & Solutions und Professor (FH) für Maschinenbau & Digitalisierung. Die Tatsache, dass weder Schafferer noch Schmiedinger einen direkten Bezug zur Glaziologie haben, war kein Hindernis, „sondern vielleicht sogar ein Vorteil“, meint der Wissenschaftliche Mitarbeiter. „Wir bringen Fach-fremdes Know-how mit, das mit der Disziplin zwar nichts zu tun hat, aber den Anforderungen perfekt gerecht wird.“
Vernetzt
Eine der Expertisen, die das Projektteam mitbringt, liegt in der Netzwerktechnik – um genau zu sein beim Internet of Things, kurz IoT. Der Begriff bündelt eine ganze Reihe von Technologien, die Maschinen dazu dienen, in lokal aufgespannten Netzen untereinander zu kommunizieren. Bislang kommen die Anwendungen vor allem in der Industrie und der Heimautomatisierung zum Einsatz. Aber die Technik bietet sich auch für Außergewöhnlicheres an – wie zwei Versuchsreihen von Alpine IoT im Ötztal beweisen. Am Rettenbachferner erfasst ein direkt am Gletscher angebrachter Sensor Schwingungsdaten. „Bei diesem Messpunkt geht es vor allem um Frequenzanalyse“, erklärt Schafferer. Der Sensor zeichnet auf, in welchem Frequenzbereich der Gletscher Schwingungen ausgesetzt ist, woraus sich Informationen über seine Bewegung ableiten lassen. Ein zweiter Aufbau am Äußeres Hochebenkar nutzt Sensoren, die mit GPS-Modulen ausgestattet sind. „Dort vermessen wir einen sogenannten Blockgletscher – also ein von Geröll bedecktes Gletscherfeld“, beschreibt er. Für den Versuch wurden die drei Geräte an individuellen Felsblöcken fixiert, die mit dem darunterliegenden Eis wandern. „Via GPS können wir die Position der Felsen auf zwei bis drei Zentimeter genau erfassen, und das im 20-Minuten-Takt.“ Diese Daten werden dann in Echtzeit via Funk erst an eine Basiseinheit übermittelt und von dort zum Beispiel über das Mobilfunknetz weiter ins Tal.
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Unter dem Geröllfeld des Äußeren Hochebenkars versteckt sich eine Gletscherzunge.
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Martin Schafferer fixiert einen Sensor auf einem der Felsblöcke, deren Bewegung so erfasst wird.
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Mit GPS wird die Position des Felsens im 20-Minuten-Takt festgehalten.
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Die an der FH Kufstein Tirol entwickelten Gehäuse schützen die Elektronik vor den widrigen Bedingungen am Gletscher.
Günstig und verfügbar
Die Hardware, die die Wissenschaftler in ihren Geräten verbauen, kommt „von der Stange“. Denn IoT-Technologie findet inzwischen in so vielen Bereichen Anwendung, dass sie eine Vielzahl von Funktionen „ab Werk“ abdeckt. „Zudem sind die Komponenten mittlerweile auch mehr als leistbar“, weiß Schafferer. „Die Kosten für eine Einheit belaufen sich auf rund 250 bis 300 Euro – also nur einen Bruchteil dessen, womit sich zum Beispiel ein tragbarer Mess-Laser zu Buche schlägt.“
Raue Bedingungen
In ihrer zweiten Kernkompetenz, der Fertigungstechnik, werden die Entwickler von den Bedingungen gefordert, die im Hochgebirge herrschen. Um ihre Elektronik „gletscherhart“ zu machen, musste das Team tief in die Trickkiste greifen und viel Know-how in die von ihnen eigens dafür entwickelten Gehäuse stecken. Aus schlagfestem und UV-beständigem Spezial-Kunststoff 3D-gedruckt müssen sie nicht nur Wind und Wetter widerstehen, sondern auch den sehr tiefen Temperaturen. Dabei kommt Schafferer und seinem Team eine Eigenheit des 3D-Drucks entgegen: Bei dem Verfahren entstehen Luftkammern in den Wänden der Gehäuse. Die machen das Gerät nicht nur leichter und tragbarer, sondern haben auch wärmedämmende Eigenschaften. „Indem wir das Verhältnis zwischen Kunststoff und Luft und die Formgebung der Kammern optimieren, können wir ausreichend Kälteschutz erzeugen“, beschreibt er. „Zusammen mit der Abwärme der Elektronik können wir so die für fehlerfreien Betrieb nötige Temperatur aufrechterhalten.“
Strom, Schnee & Antennen
Komplett beseitigt sind die Herausforderungen, die das Gebirge an die Messgeräte stellt, allerdings noch nicht. So wird die Elektronik bislang mit regulären Akkus versorgt. Deren Leistung sinkt bei niedrigen Temperaturen sehr schnell. „Und auch der Schnee ist problematisch“, sagt Schafferer. Denn Wasser – egal ob in flüssiger oder gefrorener Form – dämpft Funksignale. Ein Lösungsansatz könnte allerdings beide Fliegen mit einer Klappe schlagen: Ein mit Fotovoltaik-Zellen und einer Antenne ausgestattetes Dreibein könnte als externer Stromlieferant und als Funkstation dienen, die nicht in Gefahr läuft, unter der Schneedecke zu verschwinden.
Mess-Schwarm
Gelingt es so oder anders, diesen Problemen Herr zu werden, wäre das System einer praktischen Anwendung einen guten Schritt näher. „Langfristig würde das dann so aussehen, dass wir 20 oder 30 Messgeräte quer über den Gletscher montieren“, beschreibt Schafferer. Das würde nicht nur eine sehr engmaschige Überwachung ermöglichen, sondern zudem eine Beobachtung in Echtzeit – „und das präziser, kostengünstiger und mit deutlich weniger Aufwand als einer wiederholten Messung vor Ort.“
Martin Schafferer ist seit 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Wissenschaftsingenieurwesen, Smart Products & Solutions an der FH Kufstein Tirol tätig und Dissertant technische Wissenschaften Universität Innsbruck.