Entscheidungen zu treffen, kann schwierig sein – besonders, wenn es um lebensverändernde Dinge wie Ausbildungen und Karriere geht. Wie man dennoch die richtige Wahl trifft, erklärt Entscheidungswissenschaftler Johannes Siebert im Interview.
Warum fallen Entscheidungen so schwer?
Johannes Siebert: Entscheidungen werden im deutschen Sprachraum oft als „Entscheidungsprobleme“ gesehen. Das macht die Sache schwierig. Aber sie können auch „Entscheidungsmöglichkeiten“ sein. Die muss man dann wahrnehmen und sich selbst zum „Entscheidungsarchitekten“ machen. Das bedeutet zum einen, Verantwortung zu übernehmen. Zum anderen gibt es auch die Freiheit der Selbstbestimmung. Nur muss man dazu eben aktiv handeln.
Kann man sich bei der Wahl für eine Ausbildung oder eine Karriere falsch entscheiden?
Selbstverständlich kann man das. Damit meine ich aber nicht, dass man sich für die falsche Option entscheidet, sondern dass Fehler am Weg dorthin passieren. Und die führen dann zur falschen Wahl. Denke ich intensiv und vor allem „richtig“ über eine Entscheidung nach, werden alle Optionen, die am Schluss übrig bleiben, „gut“ sein. Für welche ich mich dann entscheide, macht manchmal gar nicht mehr den großen Unterschied aus.
Also können richtige Entscheidungen zu schlechten Ergebnissen führen?
Ja. Eine Entscheidung sollte immer Risiken minimieren und den bestmöglichen Weg zum Ziel eröffnen. Will ich zum Beispiel zu einer Konferenz in die USA reisen, kann ich mich dazu entscheiden, das Flugzeug zu nehmen oder das Schiff. Bis auf wenige Ausnahmen ist der Flug die richtige – weil übliche und mit einer Vielzahl von Vorteilen verbundene – Wahl. Stürzt das Flugzeug ab, war die Entscheidung dennoch korrekt, denn der Absturz war statistisch sehr unwahrscheinlich, auch wenn er eingetreten ist.
Und was ist der richtige Weg, eine solche Entscheidung zu treffen?
Ja, das ist die Kunst. Zuerst muss ich die Entscheidung klar definieren. Um bei der Konferenz zu bleiben: Ich suche nach Wegen, um zu einem leistbaren Preis mit vertretbarem Zeitaufwand teilzunehmen. Außerdem muss das Ziel definiert werden. Hier könnte ich sagen, ich will rechtzeitig ankommen. Das wäre aber zu kurz gegriffen. Passender fände ich beispielsweise: Ich will etwas Spezifisches lernen, das auf der Konferenz angeboten wird.
Also wäre die Ankunft zu eng definiert?
Genau! Wir haben herausgefunden, dass sich viele EntscheiderInnen oft nur der Hälfte ihrer Handlungsoptionen bewusst sind, auch weil sie das Ziel nicht beachten. Und das ist der nächste Schritt: Ich muss mir meiner Handlungsoptionen im Klaren sein – also der Wege, wie ich das Ziel erreiche. Ich kann, wie gesagt, fliegen oder das Schiff nehmen. Theoretisch kann ich auch sagen: „Ich reise mit dem Zug.“ Ist das Ziel richtig definiert, tun sich hier aber auch noch andere Möglichkeiten auf: Vielleicht kann ich online teilnehmen? Oder das Wissen wird auch anderswo geboten?
Dann muss ich mir korrekte Informationen darüber beschaffen, wie sich die Optionen gegenüber der Entscheidungsdefinition verhalten. Da wird der Zug schnell von der Liste verschwinden – aber auch das Schiff. Und zu guter Letzt gilt es zu balancieren: Also beispielsweise, ob das Geld und die Zeit für den Flug das fehlende Vor-Ort-Sein bei einem Livestream aufwiegen kann. Daraus leite ich alle „guten“ Optionen ab – und dann ist es relativ egal, ob ich fliege oder via Internet dabei bin, solange ich nicht versuche, den Zug zu nehmen.
Das sind faktenbasierte Entscheidungen. Aber wie geht man mit Unsicherheiten und Unbekanntem um?
Die technische Antwort wäre: Es ist wichtig, die relevanten Unsicherheiten zu berücksichtigen. Um abzuschätzen, wie sehr sich solche Unbekannten auf das Resultat auswirken, muss man gute und schlechte Szenarien entwickeln. Damit lässt sich deren Relevanz eingrenzen. Praktisch und gerade im Rahmen von Karriere und Ausbildung wird es immer Unbekannte wie die Entwicklung des Arbeitsmarkts geben. Deswegen ist es sehr wichtig, vorausschauend zu entscheiden. Themen wie Digitalisierung und KI sind da wesentliche Schlagworte. Solche Trends müssen einfließen, und man muss sich immer überlegen, welcher Weg in Zukunft die meisten Türen offenhält. Denn jede Entscheidung reduziert den Entscheidungsspielraum.
Gibt es Dinge, von denen man sich bei seiner Entscheidung nicht beeinflussen lassen sollte?
Viele Menschen orientieren sich daran, was gut für ihre FreundInnen oder ihre Familie ist. Das ist gefährlich. Was gut für die ist, muss nicht zwangsläufig gut für einen selbst sein. Man muss sehr klar trennen und für sich sehr genau erkennen, was einem persönlich wichtig ist, und nicht Traditionen oder den Lebensvorstellungen anderer folgen. Das heißt nicht, dass man sich nicht inspirieren lassen kann. Aber man muss immer darauf achten, ob die Wahl wirklich zu einem selbst passt.
Wann muss man sich entscheiden?
Häufig ist es so, dass Menschen Entscheidungen vor sich herschieben. Irgendwann steigt der Handlungsdruck. Das sieht man bei vielen MaturantInnen bei der Studien- und Berufswahl. Je länger man wartet, desto höher ist die Gefahr, dass es zu einer Entscheidungskrise kommt. Dann ist der Druck so groß, dass die Möglichkeiten immer limitierter werden oder zumindest erscheinen. Und dann drohen übereilte, schlecht durchdachte Fehlentscheidungen.
Sollte man auf sein Bauchgefühl hören? Und wenn ja, wann sollte das ins Spiel kommen?
Das Bauchgefühl spielt eine elementare Rolle. Aber wer nur unreflektiert auf seinen Bauch hört, wird eine schlechte Entscheidung treffen. Wir empfehlen bei wichtigen, also lebensverändernden Entscheidungen, dass man erst, wie schon erklärt, sauber durchdenkt und die Handlungsempfehlung dann noch mit einem „Bauch-Check“ bestätigt. Und wenn es da Differenzen gibt, muss die kognitive Analyse noch einmal durchlaufen werden. Denn das ist ein Warnzeichen, dass man dort Fehler gemacht hat.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person
Johannes Siebert lehrt und forscht als Entscheidungswissenschaftler und Verhaltensökonom am MCI.
Den Bauch aktivieren
Ist die kognitive Kette zur Entscheidungsfindung einmal durchlaufen, bleiben oft zwei Optionen übrig, die fast gleich gut sind. Die finale Entscheidung wird damit emotional.
Wer sich dabei schwertut, kann zum klassischen Münzwurf greifen. Denn der Zufall aktiviert das Bauchgefühl: Entscheidet die Münze in eine Richtung und man fühlt sich aber unwohl dabei, ist die andere Option in der Regel die bessere Wahl.
Die sechs Schritte zur richtigen Entscheidung:
#01
Definition
Worum geht es?
#02
Zielsetzung
Was soll erreicht werden?
#03
Handlungsoptionen abwägen
Welche Möglichkeiten habe ich, dorthin zu gelangen?
#04
Informationen finden
Welche Konsequenzen sind mit den unterschiedlichen Handlungsoptionen verbunden?
#05
Ausbalancieren
Wenn mehrere Aspekte berücksichtigt werden sollen, müssen Prioritäten festgelegt werden
#06
Durchsetzen
Eine Entscheidung wird erst dann „gut“, wenn sie auch umgesetzt wird
Dabei muss immer beachtet werden, dass eine Entscheidung nur so gut ist wie das schwächste Glied der Kette. Fällt ein Schritt besonders schwer, lohnt es sich, die vorangegangenen Schritte noch einmal zu überprüfen, um dort Fehler zu vermeiden.