Die Digitalisierung hat längst Einzug in die Wirtschaftswelt gehalten. Wie sie sich aber in Unternehmen und der Betriebswirtschaftslehre auswirkt, ist noch weitgehend unbekannt. Ein Forschungsprojekt an der Universität Innsbruck will das untersuchen.
Die Betriebswirtschaftslehre erforscht, wie Firmen optimal wirtschaften. Das tut sie aber weitgehend, ohne digitale Technologien und digitales Wissen miteinzubeziehen. „Die Managementtheorie spiegelt derzeit überwiegend eine Welt ohne Computer wider“, weiß Thomas Lindner, seit Mai Professor für Internationales Management an der Universität Innsbruck. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Unternehmen und die Theorien der Betriebswirtschaft.
Wechselwirkung
Damit ist jedoch nicht das Digitalisieren von Prozessen oder Arbeitsabläufen gemeint. Lindner untersucht Datenanalysemethoden und in welchem Rahmen Firmen diese einsetzen und damit das strategische Tun beeinflussen. Künstliche Intelligenz, Big Data oder Algorithmen helfen, komplexe Daten aufzubereiten, und werden daher in Betrieben eingesetzt, um große Datenmengen besser zu verstehen. „Allerdings weiß niemand, inwieweit sich der Einsatz dieser digitalen Tools auf das unternehmerische Handeln auswirkt“, so Lindner. Er geht davon aus, dass es einen Zusammenhang gibt. „Es scheint klar, dass Digitalisierung beeinflusst, wie Unternehmen entscheiden.“
Neuer Blickwinkel
Zwar gibt es viel Forschung mit Digitalisierungsagenden, etwa vom Standpunkt der Innovationsfähigkeit oder des Marketings aus. Nicht aber, wenn es um die Entscheidungsfindung in Unternehmen geht. Das internationale Management sieht sich etwa an, wie ein Konzern einen neuen Standort auswählt und welche Faktoren dabei relevant sind. Unklar ist aktuell, ob und wie sich auch die Digitalisierung auf derartige Investitionsentscheidungen auswirkt.
Genau diesem Themenkomplex ist das Forschungsprogramm gewidmet, das Thomas Lindner in den nächsten vier Jahren an der Universität Innsbruck leiten wird. Rund zehn Forschungsarbeiten in vier Phasen sind geplant. „Die Uni Innsbruck ist ein super Standort für Forschung im Bereich Digitalisierung, weil sie führend in der Entwicklung von Datenanalysesoftware sowie der Quanteninformation ist“, betont Lindner.
Umfassende Agenden
Ziel ist, herauszufinden, welche Vorgehensweisen Menschen und insbesondere Unternehmen nutzen, um mit begrenzten Informationen zu entscheiden, und welche Verzerrungen dabei vorliegen. Das Augenmerk liegt auch auf regulatorischen und ethischen Punkten, etwa durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Außerdem wird erforscht, wie Firmen Digitalisierung organisatorisch verankern und regeln. „Die Frage ist etwa, wer für datenbasierte Entscheidungen die Verantwortung übernimmt – IT oder Vorstand“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Untersucht wird auch, wie sich das Verhalten von Entscheidungsträgern ändert, je nachdem, wie Daten aufbereitet sind.
Digitale Gesellschaft
In der letzten Projektphase geht es um die Auswirkungen der Digitalisierung auf Markt und Menschen. Denn letztlich hat die Verwendung digitaler Tools im großen Stil gesellschaftliche Konsequenzen. Entscheidet ein Algorithmus, welche Arbeitssuchenden die besseren Chancen haben, wie vom Arbeitsmarktservice einst angedacht, oder wo ein Betrieb seinen Standort wählt, hat das Folgen für den Heimatmarkt und die Menschen, die dort leben.
Wissenstransfer
Denkbar wäre für Thomas Lindner, dass die Digitalisierung das Übertragen von Wissen erleichtert. Damit würde es für Unternehmen einfacher, ihr Know-how in weiter entfernte Standorte und folglich Länder zu transferieren. „Ich erwarte, dass Firmen durch die Digitalisierung schneller und in wachstumsstärkere und damit weiter entfernte Länder investieren“, erklärt Lindner. Heute gehen Direktinvestitionen von internationalen Firmen in und aus Österreich häufig nach Mittel- und Osteuropa. Künftig könnte sich das vermehrt in globale Wachstumsmärkte nach Asien oder Afrika verlagern.
Eine derartige Entwicklung ist für Länder wie Österreich, in dem mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze von Export und internationalen Investitionen abhängt, mehr als relevant. Und zeigt, dass es wichtig ist, die langfristigen Folgen der Digitalisierung zu erforschen.
Zur Person:
Thomas Lindner ist seit Mai 2021 Professor für Internationales Management an der Universität Innsbruck. Er promovierte und lehrte an der Wirtschaftsuniversität Wien und war im Rahmen von Forschungs- und Lehraufenthalten unter anderem in Frankreich, Dänemark und den USA tätig.