Im Projekt Digischutz kombinieren mehrerer Tiroler Hochschulen ihr Know-how. Gemeinsam mit dem Start-up GMD entwickeln sie ein Sensornetz, um eine künstliche Intelligenz zu trainieren, die das Risiko von Naturereignissen vorhersagen soll.
Großereignisse wie Muren und Überschwemmungen nehmen zu. „Bislang sind wir dem größtenteils reaktiv begegnet“, meint Manuel Ferdik. Der Professor am MCI leitet seit einem Jahr den Schwerpunkt Electronics und Data Analytics an der Tiroler Hochschule. Aktuell beschäftigt er sich mit Steinschlägen und damit, wie sie gemessen werden können. „Wir sperren Straßen, nachdem eine Mure abgegangen ist, evakuieren Häuser, wenn ein Hang ins Rutschen gekommen ist“, meint er. „Aber eigentlich müssten wir vorher wissen, wann und wo etwas geschieht.“
Gemeinsam
Dabei kommen die Steinschläge ins Spiel. Ferdik und das MCI sind Teil des Projekts Digischutz, das sich zum Ziel gesetzt hat, ein Vorhersage- und Frühwarnsystem für Naturereignisse zu entwickeln. Alleine sind sie mit dem Unterfangen nicht. „Das ist ein multidisziplinäres und multiinstitutionelles Vorhaben, in dessen Rahmen Wissenschaft und Privatwirtschaft kooperieren“, sagt der Datenwissenschaftler. „Wir bündeln verschiedenste Disziplinen, um eine Technologie zu entwickeln, die das Leben in Tirol besser und sicherer machen kann.“
Datensammler
Digischutz verfolgt zwei Ideen. Im ersten Schritt geht es darum, Steinschläge zu erfassen. Die Idee dazu stammt von GMD, einem Start-up, das sich auf die Entwicklung vernetzter Systeme spezialisiert hat, die Naturgefahren vorhersagen sollen. Dort entwickelte Sensor-Pakete sind aktuell an Steinfangnetzen an vier Orten in Tirol montiert und erfassen Informationen. „In erster Linie natürlich die Vibrationen, wenn Steine das Netz treffen“, beschreibt Ferdik. Bislang messen sie nur, ob es einen Einschlag gegeben hat – bald sollen die Intensität und die Position des Auftreffens Rückschlüsse auf die Größe des Steins zulassen. „Zusätzlich halten wir aber auch verschiedene Umweltdaten wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und mehr fest.“
Selbstversorger
Bei der Daten-Übertragung kommt die Universität Innsbruck ins Spiel: Am Institut für Mechatronik werden vom Arbeitsbereich Elektrotechnik maßgeschneiderte LoRa-Antennen entwickelt. Das steht für Long Range, also „große Reichweite“ – eine Technologie, die Daten stromsparend über große Distanz überträgt. Bislang nutzen die Messeinheiten das Mobilfunk-Netz. Das ist einfach, verbraucht aber viel Energie, die Batterien liefern müssen. LoRa könnte helfen, Strom zu sparen. Doch die Antennen müssen einiges leisten. Denn die Sensoren sind Wind, Wetter und – logischerweise – Steinschlägen ausgesetzt. Dementsprechend müssen sie stabil verpackt sein. Doch eine dicke Hülle ist Funksignalen im Weg. „Die Idee ist, das Gehäuse selbst zur Antenne zu machen“, erklärt Ferdik. „Und außerdem wollen wir die Batterien durch Fotovoltaik ersetzen. Gelingt uns das, wäre das System nahezu autark.“
Trainingsphase
An dritter Stelle ist das MCI am Zug: Wenn Anfang 2025 ausreichend Daten gesammelt sind, machen sich Ferdik und sein Team daran, mit ihnen eine Künstliche Intelligenz zu trainieren. „Sie soll Korrelationen erkennen – also zum Beispiel, ob Steinschläge zu- oder abnehmen, wenn eine bestimmte Luftfeuchtigkeit in Kombination mit einer bestimmten Temperatur erreicht wird“, erklärt er, „und daraus dann Kausalitäten ableiten.“ So soll ein Vorhersagemodell entstehen, das das aktuelle Steinschlagrisiko nach einem Ampel-System bewerten kann.
Datenschatz
Was nach einem fertigen Produkt klingt, ist aber erst der Anfang: „Je mehr wir messen, desto mehr erkennt die KI, wo Steinschläge auftreten“, sagt Ferdik. „Dort montieren wir Sensoren, die Daten sammeln, aus denen die KI mehr lernt und so weiter.“ Und das führt die WissenschaftlerInnen zum zweiten langfristigen Ziel von Digischutz: Ebenso wie Steinschläge nur ein Teil aller Naturereignisse sind, sind regionale Daten nur ein Bruchteil dessen, was zur Verfügung steht. Egal ob Niederschlagsmengen und Pegelstände, die Informationen des Tiroler Rauminformationssystems TIRIS und der Wildbachverbauung oder die Daten des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus, das mit Satelliten großflächig den Planeten vermisst und Veränderungen dokumentiert: Verknüpft können alle diese Informationen Gold wert sein.
Vorausschauend
„Nehmen wir unsere KI als Ausgangspunkt und trainieren sie nicht nur auf Steinschläge, sondern auch auf Muren, Überschwemmungen und mehr, ergänzt um solche ‚großen‘ Datensätze, wären auch Vorhersagen anderer Großereignissen möglich“, ist er überzeugt. „Damit könnten wir großflächig, proaktiv und prädiktiv auf das Problem zuzugehen – was in einer Zeit, in der sich Klimawandel und Großwetterereignisse statistisch häufen, ein wichtiger Paradigmenwechsel wäre.“
Manuel Ferdik hat Mechatronik und Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Nach dem Studium war er unter anderem für Swarovski als Produktions-System-Manager tätig. Seit 2021 ist er Teil des MCI Teams, wo er seit November 2023 den Schwerpunkt Electronics und Data Analytics leitet.