Eklatanter Fachkräftemangel sowie sich durch neue Technologien ständig verändernde Arbeitsumfelder und -abläufe machen effizientes Lernen immer wichtiger. Dazu, wie das am besten erreicht werden kann, wird am Lean Lab der FH Kufstein Tirol geforscht.
Die Zeiten, in denen man während der Ausbildung alle Fähigkeiten erlernt, die für das restliche Arbeitsleben wichtig sind, sind schon lange vorbei. Die produzierende Wirtschaft wird individueller, Massenware ist out. Abgesehen davon übernehmen neue Technologien immer mehr Aufgaben. Das entlastet die Mitarbeitenden zwar, stellt sie aber auch immer wieder vor neue Herausforderungen.
Es verändert sich also viel im Arbeitsalltag. Zudem tun der gleichzeitig herrschende Fachkräftemangel und der demografische Wandel ihr Übriges. All diese Faktoren machen es zusehends wichtiges, stetiges Lernen in den Arbeitsalltag zu integrieren. „Der erste Schritt in diese Richtung ist es, herauszufinden, wie Menschen lernen, um somit auch zu verstehen, wie Arbeitsschritte besonders effizient und ressourcensparend erklärt und vermittelt werden können“, sagt Thomas Schmiedinger, stellvertretender Studiengangsleiter des Masterstudiengang Smart Products & Solutions an der FH Kufstein Tirol.
Die innovative Lernfabrik
Um Lernen zu optimieren ist es wichtig, zu verstehen, wie MitarbeiterInnen ihren Arbeitsplatz wahrnehmen. Durch diese Information kann man die Arbeitsstelle an die menschliche Wahrnehmung anpassen und beispielsweise Anweisungen so positionieren, dass man sie sofort findet und anwenden kann. Aber auch ablenkende Faktoren könnten erkannt und beseitigt werden.
Das Lean Lab, gegründet von Martin Adam, Studiengangsleiter der Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen, ERP-Systeme & Geschäftsprozessmanagement und Smart Products & Solutions an der FH Kufstein Tirol, versucht, dem Geheimnis des effektivsten Lernweges auf die Schliche zu kommen. Dabei versteht sich das Lean Lab als Lernfabrik, wo theoretische Ansätze von Prozessoptimierung und Schulungsstrategien ausprobiert werden.
Der Versuch
Schmiedinger hat im Lean Lab ein Experiment mit zwei Teams zu je zehn Personen durchgeführt. „Beide hatten dieselbe Aufgabe: Metallplatten in einen bestimmten Winkel zu biegen. Während die Kontrollgruppe nur eine Arbeitsanweisung anhand von Fotos auf ihrer Werkbank vorfand, wurde die Testgruppe in einer Virtual-Reality-Umgebung eingeschult“, erklärt er. Die VR-Brille simuliert dabei die Werkbank sowie Arbeitsschritte und Bewegungsabläufe.
Außerdem wurden bei allen TeilnehmerInnen mittels Eye-Tracking die Blickrichtungen aufgezeichnet. Dabei verfolgt eine Kamera die Bewegung der Pupillen, wodurch die wissenschaftliche Analyse erst ermöglicht wurde. Das ermöglichte wichtige Beobachtungen. „Das menschliche Auge wechselt immer zwischen drei sogenannten Blickrichtungen“, erklärt Schmiedinger. „Bei der Fixation fokussieren wir uns auf eine Stelle, während das Auge bei der Sakkade zwischen Fixpunkten hin und her springt. Bei der Regression wandert der Blick zu einem bereits erkannten Angelpunkt zurück – wie zum Beispiel beim Lesen.“
Der feine Unterschied
Auf den ersten Blick erzielten die Teams vergleichbare Ergebnisse. Beide erledigten die Aufgabe ungefähr in derselben Zeit und niemandem gelang es, die vorgeschriebene Qualität zu erreichen. Wenn man aber genauer hinsieht, zeigen sich innerhalb der Kontrollsektion klare Unterschiede in der Leistung. Hier waren sowohl die Qualitätsmerkmale als auch die benötigte Zeit unter den TeilnehmerInnen weit gestreut. „Alle, die mit der VR-Brille eingeschult wurden, erbrachten ungefähr gleiche Resultate. Innerhalb der anderen Gruppe treten klare Unterschiede zwischen den Teilnehmenden auf: Manche waren viel schneller als andere und die Variationen der gebogenen Winkel waren größer. Daraus lässt sich schließen, dass wir mit einer guten Einschulung alle schneller auf den gleichen Stand bringen können“, fasst Schmiedinger den Ausgang des Experiments zusammen.
Bei der Suche nach den Ursachen kommt das Eye-Tracking ins Spiel: Während der Blick der Kontrollgruppe häufig zwischen den Instruktionen und Arbeitsschritten sprang, konnte die VR-Testgruppe die Anordnungen viel schneller ausfindig machen und einen strukturierten Blickpfad beibehalten. Es gab also viel weniger Sakkaden und Regressionen bei den mit VR Eingeschulten. Außerdem ergab ein anschließender Fragebogen, dass die Kontrollgruppe vor der Aufgabenbewältigung angespannter und nicht so zuversichtlich war wie die VR-Testgruppe.
Neue Ansätze
„Bislang wurde Wissen unter anderen von MitarbeiterInnen vermittelt, die bereits die nötige Erfahrung haben“, erläutert Schmiedinger. „Wenn ich aber weiß, dass diese Aufgabe effizienter mit einem Schulungsvideo funktioniert, dann habe ich die Möglichkeit, Ressourcen besser zu nutzen.“ Das erhöhe wiederum die Kapazitäten und könne dadurch auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Durch das Experiment konnten mit Hilfe der Eye-Tracking-Technologie wichtige Daten gesammelt werden. Abgesehen vom Arbeitsplatz, könnte man mit diesen Informationen auch Einschulungsvideos optimal aufbauen. Das gelingt unter anderem durch Signalfarben, optimale Position von Instruktionen sowie Eliminierung von Ablenkung.
Insbesondere für Berufe mit hohen Sicherheits- oder Hygienestandards kann eine VR-Einschulung vorteilhaft sein. Beispielsweise in der Pharmaindustrie, wo Fehler in der Produktionskette massive Einschränkungen auf den laufenden Betrieb bedeuten können. VR-Schulungen erlauben nicht zuletzt Platz für Fehler. Denn Missgeschicke im virtuellen Raum verursachen keine Kosten und bieten die perfekte Möglichkeit aus Fehlern zu lernen.
Potenzial erkennen
Effizienteres Arbeiten ermöglicht höhere Produktivität und Produktqualität. Außerdem kann sich das Personal durch die offen gelebte Fehlerkultur gut einbringen und so zur Prozessoptimierung beitragen. Aber natürlich wird es auch immer eine Frage des Geldes bleiben. „Allerdings lässt es sich wirtschaftlich berechnen, dass durch die Prozessoptimierung die Durchlaufzeit niedriger ausfällt und dadurch eine höhere Produktion für den Betrieb möglich ist. Jeder Betrieb kann also im Vornherein bestimmen, ob es sich für sie lohnt“, betont Schmiedinger.
Neben der Geldfrage sei es aber vor allem auch eine kulturelle Herausforderung, die jede Innovation durch die damit verbundenen Veränderungen mit sich bringt. „Hier setzt das Lean Lab auf die Selbsterfahrung bei Führungskräften, denn durch Seminare und Workshops wird das Potenzial klar erkennbar“, so Schmiedinger.
Thomas Schmiedinger hat Maschinenwesen und Molekulare Zellbiologie studiert und arbeitet seit fünf Jahre als Professor (FH) für Maschinenbau und Digitalisierung und stellvertretender Studiengangsleiter von Smart Products & Solutions an der FH Kufstein Tirol. Er ist 39 Jahre alt und lebt in Kufstein.