Neun Tiroler Unternehmen dokumentieren in ihrer Gemeinwohl-Bilanz „Zukunftsfähiges Wirtschaften“. Sie wurden am 23. März in der Werkstätte Wattens ausgezeichnet.
„Nachhaltigkeit betrifft jedes Unternehmen. Mit der Gemeinwohl-Ökonomie erhalten Unternehmen einen Werte-Kompass“, erklärt Cornelia Erler-Wolf, Koordinatorin der GWÖ Tirol, bei der Überreichung der Urkunden. Das Modell basiert auf den Grundwerten Menschenwürde, Ökologische Nachhaltigkeit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit sowie Mitbestimmung und Transparenz. Berücksichtigt werden fünf Kategorien von Interessengruppen: LieferantInnen, EigentümerInnen und FinanzpartnerInnen, Mitarbeitende, KundInnen sowie das Gesellschaftliche Umfeld. Andrea Aldosser, die Unternehmen im Bilanzierungsprozess begleitet, ergänzt: „MitarbeiterInnen und Fachkräfte werden zukünftig Betriebe bevorzugen, die nachhaltig und gemeinwohl-orientiert wirtschaften. Sie wollen vermehrt sinnstiftend arbeiten.“
„Die Gemeinwohl-Bilanz dient als Instrument der Organisationsentwicklung zur strategischen Weiterentwicklung und bietet einen 360°-Blick auf das eigene Unternehmen“, schildert Gemeinwohl-Berater Christian Niederstätter. Ing. Hubert Schipflinger, Geschäftsführer der Firma PRO PLANaus Kitzbühel bezeichnet den Prozess als Impulsquelle: „Die Gemeinwohl-Matrix weitet den Blick und es eröffnen sich viele Bereiche, wo wir etwas bewegen können!“
Von Sozialunternehmen bis Reisebüro
Das Sozialunternehmen innovia erstellt seit 2013 regelmäßig einen – mittlerweile den vierten – Gemeinwohl-Bericht. „Nicht nur unser Kernauftrag soll zu einer sozial nachhaltigeren Welt beitragen, wir wollen auch unser gesamtes Handeln am Gemeinwohl orientieren. Mitarbeitende gestalten mit uns gemeinsam unsere sozial-ökologische Nachhaltigkeit – das wirkt sich entscheidend auf unsere Positionierung als Arbeitgeberin aus und spiegelt sich in der Anzahl der Bewerbungen wider“, so Geschäftsführerin Vera Sokol.
Dödlinger Touristik trägt als erstes Busunternehmen und Reisebüro Westösterreichs das Umweltzeichen. „Die Gemeinwohl-Ökonomie ermöglichte nach dem Corona-bedingten Geschäftseinbruch uns neu auszurichten und strategisch unsere Zielrichtung zu überdenken“, berichtet Unternehmerin Christina Brunner, die mit Tochter Sophie nun schrittweise und fokussiert die Erkenntnisse ihrer Gemeinwohl-Bilanz in die Umsetzung bringt.
Zentrales Element im Rahmen der Erstellung des Gemeinwohl-Berichts ist die Befragung der LieferantInnen. Das Bewusstsein, das unternehmerische Verantwortung auch die vorgelagerten Einheiten in der Lieferkette betrifft, kommt hier schnell in Konflikt mit der Realität in vielen Branchen: „Ab der zweiten, dritten Einheit wird es fast unmöglich die Herkunft der Rohstoffe nachzuvollziehen. Diese Bewusstseinsbildung ist wichtig und hat uns sehr viel positives Feedback von unseren LieferantInnen gebracht.“ schildert Christine Gschnaller von der Firma HPP, die im Kunststoffhandel tätig ist. Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Hansjörg Wolf als Sporthändler: „Immer mehr LieferantInnen fallen für mich weg, weil sie ihre Lieferkette nicht zurückverfolgen können. Ich möchte nur mit Firmen arbeiten, die transparent und nachvollziehbar Fragen zu den sozial-ökologischen Bedingungen ihrer Zulieferunternehmen beantworten können – dann kann ich authentisch an meine KundInnen herantreten.“
Nachhaltigkeit in aller Munde
Die Tiroler Gemeinwohl-Unternehmen sind sich einig: Auch wenn Nachhaltigkeit in aller Munde ist, der Begriff allein ist nicht viel wert – Stichwort Greenwashing. „Es gehört dokumentiert, niedergeschrieben und von unabhängiger Stelle kontrolliert – so wie es im Biobereich mittlerweile selbstverständlich ist,“ ist Helga Juffinger überzeugt. Als sie und ihr Mann Anton ihre Bio-Metzgerei vor 25 Jahren gründeten, wurden sie noch belächelt, heute beschäftigt das Unternehmen rund 50 Mitarbeitende und beliefert 6.000 Geschäfte.
Abgerundet wurde die Zertifikatsverleihung mit einem Rundgang durch die Werkstätte Wattens, ein Ort, wo Start-Ups und Grown-Ups dem alten Fabriksgebäude neues Leben einhauchen und innovative Produktideen entwickeln und auf den Markt bringen können. Auch für die Destination Wattens war der Ausganspunkt für die eigene Gemeinwohl-Bilanzierung die Frage: „Wo stehen wir eigentlich?“ Geschäftsführer Matthias Neeff gibt interessierten Unternehmen folgenden Tipp mit auf den Weg: „Einfach mal starten – mit so vielen Menschen aus der Organisation wie möglich!“
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, in dem das „Gute Leben” für alle das oberste Ziel ist. Weltweit haben bereits über 1.000 Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Neben dieser gibt es mittlerweile 10 Prototypen wie beispielsweise das Gemeinwohl-Konto oder das Gemeinwohl-Produkt als Alternative zum bestehenden BIP.