Simon Tumler berät Unternehmen in Sachen Circular Economy. Die nachhaltige und regenerative Wirtschaftsform bietet nicht nur viel ökologisches Potenzial, sondern ist Innovationstreiber und auch betriebswirtschaftlich interessant.
Zur Person
Simon Tumler ist gebürtiger Südtiroler und mit seinem Unternehmen „endlich.“ seit drei Jahren selbstständig. „endlich.“ berät Firmen zu Themen der Circular Economy und bietet dazu auch eine Reihe von Online-Bildungsprogrammen an.
Herr Tumler, was verstehen Sie unter einem regenerativen Geschäftsmodell – und wie unterscheidet sich das von Nachhaltigkeit oder Kreislaufwirtschaft im klassischen Sinn?
Simon Tumler: Klassische Nachhaltigkeitsansätze zielen oftmals darauf ab, weniger ökologischen Schaden zu verursachen. Regenerativ bedeutet einen Schritt weiterzugehen und bereits angerichtete Schäden, beispielsweise an Ökosystemen, wieder gut zu machen.
Verhält es sich bei Circular Economy und Kreislaufwirtschaft gleich?
Die Circular Economy bietet Ansätze für regeneratives Wirtschaften. Wenn man das Wort Kreislaufwirtschaft erwähnt, denken viele zuallererst lediglich an Recycling. Dabei ist Recycling nur eine Möglichkeit, kreislauffähig zu agieren. Das heißt, bevor man Produkte oder Materialien recycelt, sollte man andere Schritte gehen, wie Wiederverwendung, Sharing, Reparatur, Refurbishment etc. Nur wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollte Recyling in Betracht gezogen werden.
Was war der Auslöser, „endlich.“ zu gründen? Gab es ein Schlüsselerlebnis oder eine Erkenntnis, die Sie besonders geprägt hat?
Meine Kollegin Anna Köhl beschäftigt sich schon seit Langem mit dem Thema. Ich war davor in der Beratung tätig und hatte das Gefühl, meine Energie woanders hineinstecken zu müssen. Angesichts der Tatsache, dass unser aktuelles Wirtschaftsmodell ökologisch und ökonomisch an seine Grenzen stößt, war es für mich eine recht natürliche Entscheidung und eine spannende Aufgabe obendrauf. Wendet man die Prinzipien der Circular Economy als Unternehmen richtig an, bieten sich eine Reihe von Innovationspotenzialen an. Schon allein betriebswirtschaftlich ist das Thema sehr interessant.
Wie definieren Sie „Wert“ in einem regenerativen Wirtschaftssystem – jenseits von Profit und Wachstum?
Wert entsteht, wenn wirtschaftliches Handeln ökologische und soziale Systeme stärkt und zukünftige Lebensgrundlagen sichert – nicht nur finanzielle Rendite erzielt. In klassischen linearen Denkansätzen bedeutet der Einsatz von Ressourcen in den meisten Fällen auch negative Auswirkung auf die Umwelt. Aber man kann eben auch Modelle entwickeln, die aus dieser Take-Make-Waste-Logik ausbrechen.
Wie gehen Sie dabei konkret vor?
Klassischerweise analysieren wir zuerst die Wertschöpfungsprozesse der Unternehmen. Von der Rohstoffgewinnung bis zum Ende des Produktlebenszyklus. Wie schafft das Unternehmen Wert? Was passiert entlang der einzelnen Wertschöpfungsschritte? Wo werden Wert und Ressourcen vernichtet? Auf Basis dieser Erkenntnisse gehen wir dann in einen Ideationsprozess und versuchen verschiedene zirkuläre Geschäftsmodell-Optionen nach dem „What-if?“-Ansatz durchzudenken und zu challengen. Schlussendlich gehen wir in die Geschäftsmodell-Detaillierung und die Umsetzungsplanung.
Welche typischen Hürden begegnen Ihnen dabei?
Einige Unternehmen leben das bereits. Anderen muss erst vermittelt werden, dass das Thema nicht etwas kostet, sondern etwas bringt. Wir versuchen dann zu vermitteln, dass Zirkularität neben allen ökologischen Benefits zu neuen Umsatzströmen und Kosteneinsparung führen sowie zu mehr Resilienz verhelfen kann. Es geht uns prinzipiell darum, die lineare Denkweise zu durchbrechen. Bei den Unternehmen führt das dann zu größeren Transformationsprozessen auf vielen Ebenen.
Gibt es bestimmte Branchen, die besonders offen oder resistent gegenüber dieser Art des Wirtschaftens sind?
Zirkuläre Ansätze greifen am besten im produzierenden Gewerbe bei Unternehmen mit hohem Ressourcen- und Materialverbrauch. Der Servicesektor ist etwas schwerer zu knacken, gerade bei Branchen, die immaterielle Güter wie Software oder andere digitale Dienstleistung anbieten. Hier liegen die Potenziale meist in der Auswahl der richtigen Infrastruktur- oder Hardwareanbieter.
Das Thema Ressourcennutzung und -schonung hat auch eine makroökonomische Dimension.
Man sieht es gerade am Beispiel von China: Wenn das Land die Ausfuhr von seltenen Erden und weiteren kritischen Rohstoffen unterbindet, werden ganze Wirtschaftszweige lahmgelegt. Der Handelskrieg macht gerade deutlich, wie sehr sich das relativ rohstoffarme Europa von Playern wie China und anderen Ländern abhängig gemacht hat. Die Circular Economy liefert Ansätze, um intelligenter und gewinnbringender mit den sich bereits im Umlauf befindlichen Ressourcen umzugehen. Die aktuelle Situation zeigt aber die Notwendigkeit auf, andere Denk- und Arbeitsweisen anzugehen. Das ist das Positive an der aktuellen Entwicklung.
Wie misst man den Erfolg eines regenerativen Geschäftsmodells – wenn nicht primär am Umsatz?
Die Impactmessung ist fragmentiert. Das heißt, man muss sich verschiedene Dimensionen anschauen. Dafür gibt es unterschiedliche Modelle: Man schaut sich den ökologischen, den sozialen, den ökonomischen Mehrwert an. Denn das Verhältnis von Kosten und Umsatz muss am Ende natürlich stimmen.
Glauben Sie, dass regenerative Modelle in absehbarer Zeit Mainstream werden können – oder bleiben sie Nischenphänomene?
Es ist momentan davon auszugehen, dass alle großen Unternehmen an den Themen dran sind. Ich habe davor das Beispiel China und seltene Erden genannt. Das geht über den ökologischen Zugang zu dem Thema hinaus. Es ist schlicht notwendig, anders zu denken und sich anders aufzustellen, um zukunftsfähig zu bleiben. Kritische Ressourcen werden knapper und teurer. In den letzten Jahrzehnten haben wir uns in viele globale Abhängigkeiten hineinmanövriert. An neuen Praktiken geht kein Weg vorbei. Und wir reden dabei noch gar nicht von Auswirkungen, die ökologischer Natur sind.
Welche politischen oder regulatorischen Veränderungen wären nötig, um regenerative Wirtschaft wirklich zu fördern?
Die EU hat mit dem Circular Economy Action Plan einen recht ambitionierten Weg eingeschlagen. Zusätzlich wäre auch die konsequente Umsetzung des Critical Material Act wichtig. Es wäre notwendig das länderübergreifend zu harmonisieren. Auf dem Papier ist Europa ambitioniert aufgestellt. An der Umsetzung hapert es aber vielerorts noch.
Wie verändert sich die Rolle von KonsumentInnen in einem zirkulären bzw. regenerativen System?
Ich finde es immer etwas faul, die Verantwortung an die KonsumentInnen weiterzugeben. Ich sage immer: Im besten Fall schafft man es, Modelle zu entwickeln, die den Komfort der Wegwerfgesellschaft halten können. Mir ist bewusst, dass das nicht immer realistisch ist, aber der Ansatz muss in diese Richtung gehen.
Was ich allerdings glaube: Wir werden uns in einigen Bereichen vom Besitzgedanken verabschieden müssen. KonsumentInnen werden sich stärker daran gewöhnen, Dinge zu benutzen, aber nicht unbedingt zu besitzen – was durchaus auch Vorteile bringen kann.
Welche Projekte oder Kooperationen inspirieren Sie aktuell besonders?
Wir arbeiten mit CIRCO in den Niederlanden und mit Circular Republic aus München, zwei Vorreiter-Organisationen auf dem Themenfeld, zusammen. Diese gehen in ihrer Arbeit über die Unternehmensebene hinaus und bringen in ihren Projekten alle relevanten Akteure einer Wertschöpfungskette zusammen. Das bietet gleich viel mehr Möglichkeiten und Hebel.
Gibt es Menschen, Bücher oder Bewegungen, die Sie besonders beeinflusst haben?
Michael Braungart, der Begründer der Cradle-to-Cradle Designphilosophie hat mich immer schon fasziniert. Seine Theorien sind eine wesentliche Stütze für die Art der Wirtschaft, die wir propagieren. Kate Raworth würde ich in dem Zusammenhang auch nennen. Sie hat das Doughnut-Economics-Konzept entwickelt, das auch soziale Aspekte im Kontext planetarer Grenzen beleuchtet. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich unbedingt ihre Arbeiten ansehen.
Wenn Sie jungen UnternehmerInnen einen Rat geben dürften, um nachhaltiger und regenerativer zu wirtschaften – welcher wäre das?
Versucht Nachhaltigkeit nicht als Bürde zu sehen, sondern als Potenzial. Macht es zum Kern eures Geschäftsmodells.
Vielen Dank für das Gespräch.