Google Earth und andere Anbieter digitaler Karten gibt es schon lange. Doch sie sind ungenau und bieten nur begrenzte Informationen. Bernhard Hollaus vom MCI forscht daher im Bereich der Fotogrammetrie, einer viel genaueren Vermessungsmethode, an neuen Möglichkeiten im Sport.
Rodeln, Klettern, Freeriden – Tirol ist ein Hotspot für Sportfans. Doch was Spaß macht, bringt auch Gefahren mit sich. Eine sorgfältige Vorbereitung ist deshalb ausschlaggebend. Die digitalen Möglichkeiten dafür sind bislang aber begrenzt, da sie oft ungenau sind und wenig Informationen bieten. Genau darin liegt das Potenzial der Fotogrammetrie. Kurz gesagt kann man sich darunter eine präzise Bildmessung vorstellen. Dabei wird eine große Menge verschiedener Fotos eines Objekts oder einer Landschaft zusammengefügt, um eine möglichst genaue dreidimensionale Nachbildung zu erhalten. Vor etwa drei Jahren haben Bernhard Hollaus, Leiter des Forschungsschwerpunkts Health Tech am MCI und Projektmitarbeiter Jonas Kreiner begonnen, damit zu experimentieren. Dabei konzentrieren sie sich auf Anwendungen im Sport.
Fülle von Bildern
Der Anfang der Fotogrammetrie am MCI war die 3D-Aufbereitung des Ampfersteins in den Stubaier Alpen. „Die Ostwand ist für Freerider und Skitourengeher schwierig zu befahren. Zwar gibt es im Internet verschiedene Routenbeschreibungen, allerdings sind diese ungenau und nicht gut dokumentiert“, erklärt Hollaus die Motivation für das Projekt. Mit einer Drohne wurde die komplette Wand aus unterschiedlichsten Perspektiven fotografiert. „Herausfordernd sind dabei die Lichtverhältnisse. Man muss in aller Früh dort sein, noch bevor die Sonne aufgeht. Denn sonst passen die Schatten im Modell nicht zusammen.“ Der Algorithmus einer Software sucht sich dann aus allen Bildern sogenannte Key-Points, also markante Punkte, aus und kann sich so das dreidimensionale Bild herausrechnen. Auf diese Vielzahl an Punkten kann eine Oberfläche gelegt werden, sozusagen das nackte 3D-Modell. Darauf wird ein Zusammenschnitt aus allen Bildern projiziert. „Es schaut deshalb so realistisch aus, weil man ja die echten Fotos verwendet“, verdeutlicht Hollaus. Zu einem guten Teil mache das die Software automatisch, das große Knowhow liege im Fotografieren. „Man muss die richtigen Winkel und Abstände treffen und die Drohne präzise steuern.“
Sicherheit und neue Routen
Der große Vorteil des fotogrammetrischen Modells sei die Genauigkeit. 3D-Kartenanwendungen wie Google Earth oder Fatmaps gibt es schon lange und sind für viele Bergsportler Standard bei der Routenplanung. „Sie sind jedoch hauptsächlich für weitläufiges Gelände geeignet. Für schwierigere Skitouren mit engen Geländekammern und Rinnen eignen sie sich nicht. Da stoßen Satellitenbilder und großflächige Geländevermessungen an ihre Grenzen, da die Strukturen, Formen und Figuren viel zu ungenau sind“, beschreibt Hollaus die Problematik. Mit fotogrammetrischen Modellen können Skifahrer zum Beispiel neue Routen finden und deutlich besser Gefahren wie Lawinen oder Geländefallen einschätzen. Ein großer Pluspunkt seien auch die verschiedenen Perspektiven. „Bei Freeride-Events stehen die Athleten am Vortag am Gegenhang, um die Situation zu analysieren. Dabei können sie nur bedingt einschätzen, wie hoch Felsen sind, wie weit sie springen können oder wo die beste Linie ist“, erklärt Hollaus. Ein Fotogrammetrie-Modell kann in die relevanten Blickwinkel für den Abfahrer gedreht werden. So lässt sich durch den sogenannten „First Person View“, also der Sicht des fahrenden Skifahrers, deutlich besser einschätzen, welche Linie man fahren will. Das erhöhe die Sicherheit für die Sportler enorm.
Virtuelles Rodeln
Nicht nur Skitourengehen und Freeriden werden immer beliebter. Auch Rodeln steigt in seiner Popularität, was auch zu einer Zunahme von Unfällen führt. Das war für Hollaus und sein Team eine der Gründe für das Projekt „VRodel“ in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Rodelverband. „Ziel war es, Kindern das Rodeln beizubringen und dadurch Unfällen vorzubeugen.“ Mit einem virtuellen Rodelsimulator sollen Menschen in einer sicheren Umgebung lernen, mit der Rodel umzugehen. Mit einer VR-Brille und zwei Controllern, die als Rodelriemen verwendet werden, hat man ein virtuelles Rodelerlebnis. Damit die Anwendung so realistisch wie möglich aussieht, braucht es naturgetreue und präzise Umgebungsbilder. Genau diese haben der Projektleiter und sein Team mithilfe von Fotogrammetrie sehr realitätsgetreu nachgebaut. Mit Kameras und Drohnen sind insgesamt rund 5.000 Bilder der Rodelbahn im Kühtai entstanden – aus unterschiedlichsten Perspektiven. Mit der Bildverarbeitungssoftware wurden diese dann zu einem 3D-Modell verarbeitet. „Man muss schon sehr genau hinsehen, um die Unterschiede zwischen Drohnenfoto und Fotogrammetrie-Modell zu erkennen“, sagt Hollaus. Neben dem Fokus Sicherheit und Lernen sieht er auch große Möglichkeiten in der touristischen Nutzung. „So kann beispielsweise auf Urlaubsmessen weltweit die Attraktivität einer Landschaft oder eben einer Rodelbahn durch eine VR-Brille beworben werden.“ Zusätzlich könnten Hotels oder Rodelhersteller verlinkt werden. Für Unternehmen sei es eine große Chance, sich virtuell zu präsentieren. „Bei der touristischen Nutzung stecken wir aber noch in den Kinderschuhen.“
Zahlreiche Möglichkeiten
In einem ähnlichen Vorhaben im Rahmen einer Masterarbeit wurde der Eiskanal in Igls mithilfe von Fotogrammetrie aufgearbeitet. Das Modell wurde in die Landschaft des Inntals eingebettet und man kann als Bobfahrer oder Rodler mit 120 Stundenkilometern den Eiskanal hinunterfahren, ohne jemals dort gewesen zu sein.
Großes Potenzial hat Fotogrammetrie für Hollaus auch im Klettersport, wo sich der Nutzen bereits zeigt. Die 3D-Modellierung von Klettergärten und -wänden habe für Kletterer einen großen Mehrwert. Sie können sich Routen somit aus allen Perspektiven anschauen und besser abschätzen, wie schwierig sie sind oder ob sie sich lohnen. „Zurzeit laufen Gespräche mit Kooperationspartnern, die großes Interesse bekundet haben“, ist der Experte erfreut.
Erfahrung aufbauen
Herausforderungen gibt es laut Hollaus noch in der Mächtigkeit, also der Größe der Modelle. „Unsere erzeugten 3D-Rekonstruktionen haben eine sehr große Detailtiefe. Für VR-Brillen müssen wir diese nach unten schrauben. Herausfordernd ist, dass sie trotzdem noch sehr detailgetreu sind, aber möglichst ressourcenschonend für die Hardware. Da sind wir noch dabei, Erfahrung aufzubauen.“ Ähnliche Schwierigkeiten gibt es bei der Darstellung auf Smartphones. Hollaus setzt da aber auf die Expertise der Projektpartner wie der Innsbrucker Firma Mediasquad. Er ist überzeugt, dass Fotogrammetrie in Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen wird. Anwendungen dafür gebe es genug.
Bernhard Hollaus hat (industrielle) Elektronik in Wien studiert und seinen PhD in Sportwissenschaft an der Universität Innsbruck absolviert. Seit 2013 lehrt und forscht er in den Departments Mechatronik und Medizin-, Gesundheits- und Sporttechnologie und ist Projektleiter in mehreren Forschungsprojekten am MCI. Seit 2022 leitet er dort den Forschungsschwerpunkt Health Tech.