Masafumi Ozaki ist mit Leib und Seele Kurzzeit-Tiroler: Seit mehr als 20 Jahren prostet der reiselustige Japaner in seiner Herzensheimat Patsch so oft es geht den Bergen zu. Andreas Hofer ist daran nicht ganz unschuldig. Die Serles erst recht nicht.
Mit Badeschlapfen an den bestrumpften Füßen sitzt Ozaki an der rustikalen Bar vom Bärenwirth in Patsch und genießt sein Bier. Es ist nicht sein erstes heute und es wird nicht sein letztes sein. Warum auch? Der Japaner ist schließlich einzig und allein zum Vergnügen in Tirol. Der Gerstensaft lässt dann auch den Tiroler in Masafumi Ozaki – so der vollständige Name des quirligen Herrn aus Tokio – ausapern. „G’sundheit!“, schleudert er in die gute Stube und verfällt sogleich in eine herzerfrischende Lachattacke, die ansteckender wirkt als jeder Coronanieser. Wie hieß es gleich noch einmal über die Titelheldin der japanischen Animé-Serie „Mila Superstar“? Ach ja: Sie konnte lachen wie die Sonne überm Fujiyama. Ozaki steht ihr da in nichts nach.
DER HOFER, EIN SAMURAI?
Mit seinem Lieblingstrinkspruch auf den Lippen schlurft Ozaki in jene Stube, in der einst Josef Speckbacher die Pläne für die Schlacht am Bergisel geschmiedet haben soll: Von diesem historischen Hoangascht zeugt die Fotografie eines Schwarz-Weiß-Gemäldes von Franz Burger, das Ozaki mit strahlenden Augen betrachtet. Und sogleich auf Andreas Hofer zu sprechen kommt. Der standhafte Sandwirt und seine Gefolgschaft haben es dem Japaner angetan: Im Urtiroler Helden sieht Ozaki nämlich asiatische Heroenzüge verborgen. Wie jetzt? Der Hofer ein Samurai? Ozaki springt von der Eckbank auf, um seine Theorie mit Händen und Füßen zu veranschaulichen: Die altruistische Art und Weise, mit der es der Freiheitskämpfer einst schaffte, seine Mannen zum Aufstand gegen die bayrischen und französischen Besetzer zu motivieren, finde sich seiner Meinung nach auch in etlichen japanischen Heldenmythen wieder.
Und damit hebe sich der Revoluzzer von anderen europäischen Feldherren ab, die oft von purem Egoismus angetrieben worden seien. „Hofer was special“, resümiert Ozaki. Aber wie kommt es eigentlich, dass sich ein – mittlerweile pensionierter – Computerfachmann aus dem Land der aufgehenden Sonne so intensiv mit Tirol auseinandersetzt?
TIROL STATT TOKIO.
Angefangen hat alles mit der Serles. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Ozaki nach einem Südtirol-Urlaub auf einem Umweg zum Münchner Flughafen per Zufall im Bärenwirth landete. Von der dortigen Terrasse aus ließ er den Blick ins Stubaital schweifen und verliebte sich sogleich in den imposanten Berg, der ihn zum Patscher Dauergast werden ließ. Mindestens zweimal im Jahr tauscht er seither den Großstadtdschungel Tokios gegen die Tiroler Bergidylle, in der er am liebsten auch die Lockdownphasen verbracht hätte. Doch es blieb beim Wunsch: Erst nach der Aufhebung diverser Reisewarnungen konnte Ozaki wieder in den alteingesessenen Familienbetrieb zurückkehren, der für ihn zur zweiten Heimat geworden ist. Weil hier die Aussicht auf die – wie er sagt – „schönste Gottheit, die er kennt“ am besten ist.
Wirtin Angelika Farbmacher steuert mit alkoholischem Nachschub auf Ozaki zu. Ein „normaler Gast“ ist er für sie längst nicht mehr. „Mit seiner offenen und lustigen Art ist er für mich zu einem
Freund geworden. Aber nicht nur für mich: Jeder hier in der Gegend kennt und mag Ozaki“, sagt sie. Und erzählt, wie sie den etwas gehfaulen Japaner vor ein paar Jahren dazu überreden konnte, gemeinsam mit ihr die Serles zu erklimmen. „Ich hab‘ ihn ein bisserl angeschwindelt und ihm eingeredet, dass bei uns schon jeder Volksschüler auf dem Gipfel war. Das hat ihn angespornt“, lacht sie. Nach einem mehrstündigen Aufstieg lachte dann auch Ozaki – und das, obwohl er sich irgendwann nur noch wie ein fußmaroder John Wayne dahinschleppen konnte. „Ins Gipfelbuch hat er dann ‚I’m the happiest man in the world‘ geschrieben. Und das war keine Lüge“, erinnert sich Angelika Farbmacher. Ozaki wird hellhörig.
LOST IN TRANSLATION.
Ein paar Brocken Deutsch versteht er mittlerweile, nur das mit dem Reden will so gar nicht klappen. Auf Englisch schimpft Ozaki deshalb ausgiebig über die „horrible irregular words“ und die „complicated german grammar“, die er in einem Sprachkurs erlernen wollte – und kläglich scheiterte. Zugang zum Stammtisch, an dem Ozaki nun mit stolzgeschwellter Brust sitzt, hat er aber trotzdem bekommen. „Chef Hans“, wie er den Herrn des Hauses ehrfurchtsvoll nennt, hatte nämlich irgendwann Erbarmen mit dem weit angereisten Gast und beendete mit einem „Hock di halt umma“ den Einzelgängerstatus des Japaners. Seither ist Ozaki mittendrin, statt nur dabei Und zwar nicht nur in der Bärenwirth-Community, sondern auch bei diversen Events in und um Patsch – seien es nun Konzerte, Bauerntheater, Feuerwehrfeste oder Bälle.
Dorfgeschichte geschrieben hat Ozaki spätestens bei jenem Maskenball, für den er mit „Chef Hans“ die Rollen tauschte und als waschechter Tiroler antanzte, während sich sein Kumpane in einen Originalkimono warf. Wie er sich in der Lederhose fühlte? „Guat“, meint Ozaki. Ein wenig Tirolerisch hat er am Stammtisch also doch aufgeklaubt.
THERE IS NO SCHNAPS IN JAPAN.
Gar nicht „guat“ findet er hingegen, dass in Österreich süße Gerichte wie Kaiserschmarrn oder Marillenknödel als Hauptspeise auf den Tisch kommen. Da beutelt’s Ozaki, der Obst lieber in flüssiger Form genießt. „There is no real Schnaps in Japan“, klärt er auf – und schwärmt in höchsten Tönen von Williams Birne und Alter Zwetschge. Schon schallt wieder ein lautes „G’sundheit“ aus Ozakis Mund. Aber wie prostet man sich eigentlich auf Japanisch zu? „Kan-Pai“, heißt des Rätsels Lösung, die im Bärenwirth längst kein Geheimnis mehr ist. Wenn Völkerverständigung bloß immer so einfach wäre. Einladungen nach Tokio haben die Wirtsleute bislang übrigens stets ausgeschlagen. Vornehmlich aus Erdbebenbammel, wie Angelika Farbmacher erzählt. Dafür hat Ozaki immer wieder mal ein Stück Japan nach Patsch mitgebracht: unter anderem einen Reiskocher, um seinen Tiroler Feund:innen zu zeigen, wie man richtig Reis macht. „Geschmeckt hat’s recht fad“, flüstert die Wirtin, um ihren Gast nicht zu kränken. Kochen zählt demnach nicht zu den Stärken des Opernfans und Hobbyfotografen, der von Patsch aus bereits ganz Europa erkundet hat – um immer wieder zum Schluss zu kommen, dass es in Tirol doch am schönsten ist. Es ist dunkel geworden in Patsch, die Serles zeigt sich im Mondlicht von ihrer Schokoladenseite. Und irgendwie versteht man jetzt Ozaki und sein Motto: „Mountains are there to be watched with beer.“ Na dann. Kan-Pai! G’sundheit! Und Matane.