Kaum ein Name fällt derzeit so häufig, wenn es um die Zukunft der Tiwag geht, wie jener von Vorstandsdirektor Dr. Michael Kraxner. Im Interview spricht er über die Energietransformation, politische Zuschreibungen und sein Verständnis von Führung.
Herr Kraxner, Sie sind seit heuer Teil des Dreiervorstands bei der Tiwag. Wie funktioniert die Aufgabenverteilung ohne interne Hierarchie? Kraxner:
Die über Jahrzehnte gewachsene Struktur der Tiwag erleichtert Absprachen und Prozesse. Jeder von uns hat seine Aufgabenbereiche, für die er speziell verantwortlich ist, und informiert die anderen beiden über aktuelle Entwicklungen. Davon abgesehen gibt es aber auch Entscheidungen, die ressortübergreifend von uns gemeinsam getroffen werden.
Wer trifft am Ende die Entscheidungen, wenn Uneinigkeit über einen bestimmten Punkt herrscht?
Tatsächlich sitzen wir dann so lange, bis es eine Lösung gibt. Das ist eine professionelle Policy, die in jedem modernen Unternehmen vorherrschen sollte. Mitunter können Entscheidungen dadurch natürlich länger dauern. Dafür bewähren sie sich langfristig, weil man verschiedene Meinungen zuvor eingehend geprüft hat.
Gerüchten zufolge werden Sie derzeit als interner Favorit für den Vorstandsvorsitz gehandelt. Wird es also nun doch wieder einen Vorstandsvorsitz geben?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Solche Entscheidungen werden vom Eigentümer bzw. dem Aufsichtsrat getroffen. Ich möchte mich daher nicht an den derzeitigen Spekulationen beteiligen, sondern mich auf meine Arbeit konzentrieren.
Die Tiwag steht als größtes Landesunternehmen auch immer im politischen Spannungsfeld. Wie wollen Sie künftig damit umgehen?
Ich habe kein Parteibuch, hatte nie eines und werde auch nie eines haben. Wer mit mir vor meiner Bestellung zu tun hatte, weiß, dass der Kraxner extrem sachorientiert ist und sich nicht nach parteipolitischen Interessen richtet. Natürlich lässt sich das Spannungsfeld zwischen Politik und Landesunternehmen nicht leugnen. Dennoch muss ich festhalten, dass der Landeshauptmann in seiner Funktion als Eigentümerverteter hier sehr pragmatisch agiert.
Wo sehen Sie persönlich im Moment die größte Stellschraube, an der es zu drehen gilt? Gab es hier in der Vergangenheit irgendwelche Versäumnisse?
Mir liegt es als Person fern, in den Rückspiegel zu schauen und andere für ihr Bemühen zu kritisieren. Ich schaue immer nach vorn durch die Windschutzscheibe, denn die ist viel größer. Im Nachvorneschauen nehme ich wahr, dass es eine zielgerichtete Kommunikation nach außen braucht. Wir möchten KundInnen besser vermitteln, was wichtig ist, was regionale Wertschöpfung sichert und was günstige Preise garantiert.
Wieso ist das Thema Kommunikation erst jetzt wichtig geworden?
In der Energiekrise hat kaum jemand was richtig gemacht. Im Nachhinein ist man da immer klüger. Ökonomisch und betriebstechnisch kann man früheren Entscheidungsträgern da nichts vorwerfen. In der Kommunikation mit unseren KundInnen gibt es aber zweifelsohne Aufholbedarf. Hier müssen und werden wir definitiv neue Wege einschlagen, um sie besser ins Energiesystem einzubinden.
Wie kann diese Einbindung gelingen?
Wir müssen etwa ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, wie der Energiekonsum anders gestaltet werden kann (indem ich mir zum Beispiel überlege, wann ich das E-Auto auflade oder die Waschmaschine einschalte). Damit der Prosumer [Produzent + Konsument; Anm.] besser versteht, wie das System funktioniert, braucht er Unterstützung durch entsprechende Kundenlösungen wie Datenplattformen. Wenn wir hier nicht proaktiv mit dem Prosumer zusammenarbeiten, tragen wir effektiv die Energiewende zu Grabe.
Der Umbau der Tiwag wurde bereits 2023/24 vom Eigentümer angekündigt. Was ist davon heute sichtbar und was nicht?
Damals wurde im Wesentlichen die Satzung in jenem Punkt geändert, in dem es um leistbare Energie für die Bevölkerung ging. Was davon jedenfalls jetzt schon spürbar ist, ist, dass wir in ganz Österreich der günstigste Energieversorger sind (im Vergleich mit dem Osten Österreichs sogar mit Abstand).
Wie stehen Sie zur Kritik, dass Sie ohne Energieerfahrung in einen der wichtigsten Jobs Tirols berufen wurden?
Dazu kann ich nur sagen: Ich bin promovierter Strömungsmechaniker, d. h. ich weiß genau, was unsere Kraftwerksturbinen antreibt. In diesem Zusammenhang habe ich auch in der Unternehmensberatung gearbeitet, im Bereich Verfahrens-, Umwelt- und Energietechnik gelehrt sowie Unternehmen im Bereich Energietechnik und Bioenergie (mit)gegründet. Ich bringe also sowohl die technische als auch die unternehmerische Expertise mit.
Was ist Ihr konkreter Plan für die Zukunft der Tiwag?
Aktuell investieren wir massiv in den Ausbau der erneuerbaren Energien – so viel wie noch nie zuvor. 1,4 Mrd. Euro fließen in den Ausbau der Kraftwerke Kühtai und Tauernbach-Gruben. Für Imst-Haiming haben wir unlängst den Baubeschluss für 685 Mio. Euro gefällt. Weitere 200 Mio. Euro fließen bis 2029 in innovative Energiesysteme (Photovoltaik, lokale Speicherlösungen, dezentrale Energiesysteme, Ladeinfrastruktur für E-Mobilität, bedarfsgerechte Demand-Side-Management-Systeme). Bis 2040 rechnen wir mit 3 Mrd. Euro nur für den Ausbau des Stromnetzes.
Der Fokus der Tiwag liegt aber nach wie vor auf dem Thema Wasserkraft, während die Windkraft etwa hinterherhinkt. Wie passt das zur Energiezukunft Tirols?
Ich denke, es sollen die Unternehmen und Bundesländer genau das einbringen, was für sie am effizientesten und für die Bevölkerung am leistbarsten ist. Im Burgenland etwa wird sich die Wasserkraft nie rentieren. Dafür ist es bei uns mit der Windkraft schwieriger. Soll man also bestimmte Erzeugungsformen in Tirol zwanghaft integrieren, obwohl man sie nicht zurückfinanzieren kann? Mehr Sinn macht es doch, jene Ressourcen zu stärken, die bereits vorhanden sind.
Nach dem Blackout in Spanien – wie vorbereitet ist die Tiwag auf so ein Szenario in Mitteleuropa?
Wir bereiten uns periodisch auf ein allfälliges Ereignis vor. Tirol würde hier mit seinen fünf schwarzstartfähigen Kraftwerken eine zentrale Rolle einnehmen. Sie würden dabei helfen, die Energie von null auf wieder hochzufahren. Typischerweise würde dieser Prozess vom Kaunertal und Kühtai ausgehen. Binnen ca. sechs Stunden könnte das Inntal grundversorgt werden. Danach geht’s in die Täler und über die Landesgrenzen hinaus.
Stichwort Kaunertal: Wie geht es mit dem geplanten Ausbau des Kaunertalkraftwerks weiter?
Wir verstehen gut, dass es im Moment viele Unsicherheiten vor Ort gibt. Während die UVP-FachgutachterInnen nun ihre Arbeit erledigen, setzen wir weiter auf Aufklärung. Wir haben den mit Abstand niedrigsten Preis im Bundesländervergleich. Warum? Weil wir mit unseren hocheffizienten und flexiblen Pumpspeicherkraftwerken einen absoluten Schatz vor der Haustür haben, um den uns andere Länder beneiden.
Was muss in den nächsten Jahren passieren, damit Sie sagen können, die Tiwag ist auf einem zukunftsfähigen Weg?
Unsere KundInnen sollen sich abgeholt fühlen und Teil unseres Energiesystems werden. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit möchten wir weiterhin höchste Verlässlichkeit bieten. Dazu sollte auch das Kraftwerk Kühtai in Betrieb und unsere innerbetriebliche Entwicklung hin zu einem kundenzentrierten Technologieunternehmen in Umsetzung sein. Die Tiwag muss die Partnerin in der Energiewende sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zahlen, Daten, Fakten:
- 1,4 Mrd. Euro für den Ausbau der Kraftwerke Kühtai und Tauernbach-Gruben
- 685 Mio. Euro für den Bau des Kraftwerks Imst-Haiming
- 200 Mio. Euro für innovative Energiesysteme
- 3 Mrd. Euro für den Netzausbau bis 2040
Zur Person
Michael Kraxner sitzt seit Jänner 2025 neu im Tiwag-Vorstand. Er betreut das kaufmännische Ressort und kümmert sich um die strategische Ausrichtung. Vor seiner Bestellung fungierte er als CTO am MCI Innsbruck.