Inflation, Klimakatastrophe, Krieg, Energiekrise – das meiste, das wir medial serviert bekommen, versetzt uns – Wirtschaft und Bürger gleichermaßen – in Alarmzustand. Zeit für einen Perspektivenwechsel. Zukunftsforscher Andreas Reiter berichtet von positiven Prognosen und alternativen Ideen für die Zukunft.
Gute Nachrichten sind keine Nachrichten, sagt man. Und so führt selektive Berichterstattung oft zu selektiver Wahrnehmung – und die Krise der Welt schnell zur persönlichen Krise. Andreas Reiter: „Das irritiert die Menschen. Deswegen sind gute Nachrichten so wichtig.“ Aber Tatsache ist, dass über viele Verbesserungen, gute Entwicklungen und ermutigende Ideen in Wirtschaft und Gesellschaft nicht berichtet wird. Ohne die ernstzunehmenden Herausforderungen kleinreden zu wollen, so „können interessanterweise auch die negativen Prognosen zu positiven Auswirkungen führen“, weiß der Leiter des ZTB Zukunftsbüros in Wien.
ENTWICKLUNGEN
Beispiele aus der Vergangenheit zeigten dies. In den 1970er- und 1980er-Jahren beherrschten Schlagzeilen wie „der Wald stirbt“ die Medien. Dem Wald gehe es so gut wie nie – durch das veränderte Verhalten der Menschen, folgert Reiter. Während der Erdölkrise der 1970er-Jahre hatte jedes Auto einen Sticker, an welchem Tag es nicht fahren sollte. „Das war interessanterweise nicht das Problem. Aber dadurch hat sich die Automobilindustrie positiv entwickelt und verändert. Heute braucht man beispielsweise etwa weniger Benzin.“
INNOVATION
„Zurzeit das massivste Thema ist, wie wir mit der Erderwärmung umgehen – mit Überschwemmungen, den Klimakatastrophen, den Dürren. Das zahlt ein in Innovation und Kreativität. Das ist der Antrieb, aus einer Krise heraus etwas Neues zu machen, machen zu müssen.“ Die größte Angst sei, langfristige Perspektiven zu finden, so Reiter: „Wie müssen wir unser Leben verändern, um vor allem den Jungen eine Perspektive zu geben. Man sieht es bei den überlappenden Umweltgeschichten. Da werden sich die Koordinaten verschieben.“
ARBEITSWELTEN
Was sich vor allem in der Pandemie verändert habe, seien die Arbeitsvorstellungen der Generation Z – Stichwort Vier-Tage-Woche. Ohne Pandemie wäre das nicht passiert. Man habe bemerkt, dass remote zu arbeiten oder im Homeoffice ganz angenehm ist. Alle Umfragen zeigten, dass die Menschen produktiver seien. Das Wohlbefinden steige, man spare sich das Pendeln. „Diese Ortslosigkeit, die Dematerialisierung, die Zeit – das wird sich noch stärker verändern“, ist sich Reiter sicher und geht noch weiter: In Zukunft werde nach Auftrag bewertet werden. „Das wird sich von alten, starren Formen hin zu einer Output-Performance orientieren müssen.“ Dass sich durch äußere Krisen Menschen mit sich selbst, ihrer Umwelt, der Organisation, in der sie arbeiten, beschäftigten und sie verändern wollen – „das ist eine absolut positive Veränderung“, schließt der Zukunftsforscher.
CHANCEN UND MODELLE
„Die Chance ist, dass sich die Arbeitskultur insgesamt verändert. Ich finde ja heutzutage keine jungen Leute mehr. Wenn man als Arbeitgeber sagt, bei uns gibt’s kein Homeoffice, dann gehen sie woanders hin.“ Das verändere strukturell die Arbeitswelt. Was mache die Industrie in dem Fall? „Bei den Großkonzernen mach ich mir keine Sorgen, die finden schon Lösungen. Probleme haben die Kleinen, zum Beispiel der Installateur. Wenn man den bestellt, muss er kommen, weil das Rohr kaputt ist. Da kann ich dann nicht mit der Vier-Tage-Woche herkommen. Das wird komplexer. Wir müssen in vielen Bereichen andere Modelle finden.“
VORBILDER
„Krisen sind Momente, in denen sich etwas verändert. Ohne zu wissen, wo das hingeht, geschehen im Nachhinein gesehen revolutionäre Entwicklungen. Das sind neue Erzählungen, neue Geschäftsmodelle“, meint der Zukunftsforscher. Kooperatives, partizipatives kollaboratives Denken bei Unternehmen sei sehr positiv. „Sie bemerken, sie müssen miteinander. Man kann mit Innovationen nur wettbewerbsfähig sein, wenn man miteinander kooperiert. Da passiert sehr viel Gutes“, erklärt Andreas Reiter. Heruntergebrochen auf Menschen, die es wirklich gemacht haben, Neues probiert haben, seien das Ermutigungserzählungen. Es brauche positive Role Models – ob das Unternehmen in der Wirtschaft seien oder einzelne Personen, die etwas geschafft haben. „Die Menschen fürchten sich vor Veränderungen“, resümiert Andreas Reiter. „Aber ich glaube, dass kritische, negative Sichtweisen etwas Entlastendes haben. Worüber schimpft man denn, wenn alles klappt“, schließt Andreas Reiter mit einem Augenzwinkern. Die Dinge mal von anderen Seiten sehen, das sei seine Art, auf die Krisen der Zeit zu reagieren.
ZTB – Zukunftsbüro
In einer Zeit der Umbrüche und Unsicherheiten beobachtet das ZTB die Zukunftssignale bereits in ihrer frühesten Phase mittels Früherkennungsinstrumente. Die Zukunftsforscher rund um Andreas Reiter identifizieren dabei künftige Möglichkeitsräume, nehmen Unerwartetes vorweg und entziffern die kulturellen Codes der Zukunft. Ihr Ziel: Unternehmen bei Zukunftsfragen und der daraus folgenden strategischen Positionierung zu beraten. Das tun sie für mittelständische Unternehmen ebenso wie für börsennotierte Konzerne, den Öffentlichen Sektor und Verbände, Städte und Stadtmarketingorganisationen, Tourismusorganisationen und Regionen.
Optimismus tut Not – Prognosen für eine bessere Welt
Andreas Reiter über …
... Foodfarming
In Paris gibt es einen grünen Umbau. Ehemalige Tiefgaragen und Parkhäuser stehen leer, da Autos langsam aus den Städten gedrängt werden. Dort gibt’s dann Foodfarming-Anlagen, die mit speziellen Lampen beleuchtet werden. So entstehen in alten Tiefgaragen oder auf Dächern neue Produktionsstätten für Lebensmittel. Die werden künstlich angelegt. Den Menschen fällt immer etwas ein.
... Tandem-Führungsjobs
Eine Marketingchefin mit einem Kind teilt sich diesen Führungsjob mit einer zweiten Kollegin in ähnlicher Lebensphase. Das wäre früher nicht gegangen. Das geht nicht immer – aber das geht jetzt immer öfter. So verändern sich strukturell die Dinge. Das finde ich spannend.
... Social Care
In Spanien wurde unlängst der Menstruationsurlaub eingeführt. Vor 30 Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Plötzlich werden soziale Themen, die vorher keine Chance hatten, wichtiger – verändern strukturell die Lebensqualität der Menschen. Und: Die partnerschaftliche Mann-Frau-Beziehung wird anders gedacht. Junge Männer haben ein ganz anderes Caring-Modell. Sie sagen, ich will beim Kind zu Hause bleiben. Da ist viel passiert, da ist alles anders. Das ist eine gute Nachricht.
... Konsum
Die junge Generation bricht mit alten Konsummustern, die sich überholt haben. Das regenerative, zirkuläre Denken – ob im kleinen Bereich oder der Industrie – ist im Vormarsch. Zero Waste, Repair-Cafés oder Refurbish sind da nur einige Stichwörter. IKEA will bis 2030 zirkulär werden. H&M sammelt in die Jahre gekommene Kleidungsstücke. Secondhandshops sprießen aus dem Boden – auch im Luxusbereich, da heißt es „Pre Loved“. Vieles von unserem Konsumleben und -denken, das wir 30 Jahre lang hatten, wird gerade korrigiert.
... Essen
In der gehobenen Gastronomie passiert zur Zeit etwas, was man früher als Arme-Leute-Essen bezeichnet hat: „from nose to tail“ – heute ist es schick.
... Energieversorgung
Das ist jetzt ein Thema, nicht aber à la longue. Es gibt einen Switch zu den erneuerbaren, alternativen Energieformen. Und die kosten dann überhaupt nichts mehr, weil jeder seine eigene Energie produziert. Jedes Hotel in Tirol hat dann seine Solarpaneele am Dach und erzeugt selbst Strom. Und: Erneuerbare Energiegewinnung erzeugt Überschüsse. Was macht man damit? Man exportiert sie in die Nachbarschaft. Das ist unsere Zukunft. Deshalb sage ich: Die Energie wird kein Thema mehr sein.
... KI
Wir werden mit künstlichen Intelligenzen kollaborieren. Wenn das jemand nicht mitmacht, besteht die Gefahr, dass derjenige ersetzt wird. Die Frage ist jedoch, wo ist man unersetzbar? Die Gefahr ist nicht die künstliche Intelligenz, sondern der Mensch, der die künstliche Intelligenz nutzt oder zu nutzen weiß. Die gute Nachricht ist, dass wir Menschen das in der Hand haben.
... digital oder nachhaltig?
Wenn du die Welt nachhaltig umgestalten willst, kannst du das nur mit smarten Tools. Wir sprechen von der Twin Transformation – der kombinierten, zeitgleichen, parallelen Entwicklung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Das eine wird ohne das andere nicht gehen, die hängen eng zusammen. Diese Überlappung ist interessant.
Zur Person
Andreas Reiter, geboren in Innsbruck, ist Gründer und Leiter des ZTB Zukunftsbüros in Wien. Das Unternehmen berät Kommunen, Destinationen und öffentliche Institutionen im deutschsprachigen Raum bei strategischen Zukunftsfragen. Zudem ist Reiter Note-Speaker und Referent bei internationalen Kongressen und Tagungen sowie Lehrbeauftragter für Trend-Management an der Donau-Universität Krems und am MCI in Innsbruck.