Neben einer Arbeitslosenquote von 4,3 Prozent ist besonders die Arbeitslosigkeit bei Frauen stark angestiegen. Hinzu kommen ganze Bezirke, die aus der Reihe tanzen sowie eine Diskrepanz am Lehrstellenmarkt. Sabine Platzer-Werlberger, Landesgeschäftsführerin AMS Tirol, ordnet die aktuellen Zahlen ein.
Ausgangslage:
Laut AMS waren mit 31. März in Tirol 16.472 Personen arbeitslos vorgemerkt. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 4,3 Prozent, was im Bundesländervergleich der niedrigste Wert ist. Dennoch bedeutet dies einen Anstieg um 0,6 Prozentpunkte im Vergleich zum März 2024. Was ebenso auffällt: Mit Ende März war die Zahl der arbeitslosen Frauen im Vergleich zum Vorjahr um 26,5 Prozent höher. Die Arbeitslosenquote der Männer liegt mit 4,5 Prozent zwar über jener der Frauen mit 4 Prozent, stieg jedoch deutlich stärker an.
Frage: Welche Maßnahmen braucht es, um dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Frauen entgegenzuwirken?
Antwort Sabine Platzer-Werlberger, Landesgeschäftsführerin AMS Tirol: „Wesentlicher Hebel, um der Arbeitslosigkeit bei Frauen entgegenzuwirken sind Qualifizierung, verbesserte Vereinbarkeitsmodelle und gezielte Programme wie beispielsweise FiT (Frauen in Handwerk und Technik), die Frauen nicht nur in Beschäftigung bringen, sondern auch die immer noch tief verwurzelten strukturellen Ungleichheiten am Arbeitsmarkt adressieren. Zusätzlich braucht es Investitionen in soziale Infrastruktur – wie Kinderbetreuung und Pflege –, um Frauen nachhaltig im Erwerbsleben zu halten. Die Arbeitslosigkeit von Frauen ist in Tirol über das ganze Jahr gleich hoch wie die der Männer, der große Unterschied ist aber, dass Frauen nach wie vor größtenteils in Teilzeit arbeiten.“
Ausgangslage:
Auch alle Tiroler Bezirke sind stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als noch vor einem Jahr. Überdurchschnittliche Anstiege zeigten sich in den Bezirken Schwaz (+32,4 Prozent), Reutte (+29,6 Prozent), Landeck (+27,1 Prozent) und Kitzbühel (+25,1 Prozent).
Frage: Wie erklärt sich der überdurchschnittliche Anstieg der Arbeitslosigkeit in gewissen Bezirken?
Antwort Platzer-Werlberger: „Aktuell steigt die Arbeitslosigkeit in den Tourismusbezirken Schwaz, Kitzbühel, Reutte, Landeck aufgrund des späten Ostertermins. Dieser Effekt wird sich in den kommenden Wochen aber wieder auflösen, da der Tiroler Tourismus gut läuft und Arbeitskräftebedarf für den Sommer bereits akquiriert. Über das ganze Jahr sind es Innsbruck und Kufstein, wo die Arbeitslosigkeit am stärksten steigt. Hier spüren wir strukturelle und längerfristige Veränderungen im Handel und in der Industrie. In diesen Branchen steigt die Arbeitslosigkeit, die Beschäftigung nimmt ab. Diese Entwicklung wird uns aber noch länger begleiten.“
Ausgangslage:
Ende Februar 2025 waren in Tirol 372.733 Menschen unselbständig beschäftigt. Das sind um 2.804 mehr als im Vorjahr. Laut AMS Tirol Landesgeschäftsführerin Sabine Platzer-Werlberger arbeiten die TirolerInnen im Durchschnitt um zwei Wochenstunden weniger als vor der Pandemie. Das konnte bisher auch durch die steigende Beschäftigung nicht ausgeglichen werden und zeige, „wie sehr sich die Arbeitswelt verändert und wie wichtig es ist, diese Entwicklung aktiv zu gestalten.“
Frage: Sie sprechen davon, dass sich die Arbeitswelt verändert und es daher wichtig sei, diese Entwicklung aktiv zu gestalten. Was darf man sich darunter vorstellen?
Antwort Platzer-Werlberger: „Die Arbeitswelt wird digitaler, flexibler und es verändern sich einerseits Berufsbilder, Arbeitsabläufe und die Arbeitsorganisation in den Unternehmen. Aber auch die Vorstellungen und Wünsche der Arbeitskräfte, Stichwort ‚New Work‘ sind im Wandel. Da wir dringend Arbeits- und Fachkräfte benötigen, braucht es aktive Steuerung auf allen Ebenen: politisch, in den Unternehmen und Institutionen und auch individuell. Konkret: Es braucht rasche kompetenzorientierte Qualifizierungen gemeinsam mit den Unternehmen mit Augenmerk auf digitale, aber auch soziale Kompetenzen, Unterstützung der Unternehmen bei der Transformation, Aufschließung ‚arbeitsmarktferner‘ Gruppen – etwa NEETs, stille Reserve, Menschen mit hohem Engagement in der unbezahlten Arbeit und das Entwickeln von Arbeitsmodellen, die ein längeres Verweilen im Arbeitsprozess möglich machen. Maßnahmen dazu wären gezielte Gesundheitsförderung und Prävention, Weiterbildung oder Arbeitszeitmodelle, die die unterschiedlichen Lebensphasen berücksichtigen. Auf den Arbeitsmarkt wirken die AMS-Instrumente erwiesenermaßen regulierend und nachhaltig.“
Ausgangslage:
Am Tiroler Lehrstellenmarkt gibt es im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang der sofort verfügbaren offenen Lehrstellen um -14,5 Prozent auf insgesamt 1.053. Die Zahl der sofort verfügbaren Lehrstellensuchenden ist jedoch um +14,7 Prozent auf 429 gestiegen. Trotzdem übersteigt die Zahl der offenen Lehrstellen die der Suchenden deutlich.
Frage: Welche Initiativen sind nötig, um die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Lehrstellenmarkt zu verringern?
Antwort Platzer-Werlberger: „Wir haben mehr offene Lehrstellen als Lehrstellensuchende. Die Ursachen dafür liegen sowohl im demografischen Wandel als auch in der Passung zwischen Angebot und Nachfrage. Daher stärken wir im AMS junge Menschen mit ‚Startproblemen‘ und investieren gezielt in Berufsorientierung, überbetriebliche Lehrausbildung und Programme wie unser Jugendcollege. Entscheidend ist: Jugendliche brauchen früh Orientierung, manche auch psychosoziale Begleitung – und Betriebe müssen bereit sein, auch jungen Menschen mit nichtlinearen Lebensläufen eine Chance zu geben. Daneben finden sich viele Betriebe und ihre Lehrlinge ohne aktive Vermittlung des AMS. Was zusätzlich hilft, um Lehrausbildung zu stärken: Den Fokus auch auf ältere Jugendliche und Erwachsene richten. Die Lehre im 2. Bildungsweg, die verkürzte Lehre für MaturantInnen, die Lehre mit Matura und die schrittweise Anpassung der Ausbildungsinhalte auf die moderne Arbeitswelt sind wertvolle und notwendige Initiativen.“