Eingabehilfen öffnen

Skip to main content
Rankings - top.tirol - Wirtschaftsnachrichten aus Tirol
Rankings
Unternehmensverzeichnis - top.tirol - Wirtschaftsnachrichten aus Tirol
Unternehmen
Newsletter - top.tirol - Wirtschaftsnachrichten aus Tirol
Newsletter
Martin Kreutner im Gespräch

Gleiches Recht für alle

Martin Kreutner im Gespräch

Gleiches Recht für alle

Artikel teilen

Für das aktuelle top.tirol haben wir mit dem Antikorruptionsexperten Martin Kreutner über Chancen auf die Stärkung einer unabhängigen Justiz, ein „gesetzlich verankertes Zwei-Klassen-System“, Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, soziale Spielregeln – und seinen Tiroler Sturschädel gesprochen. Jetzt auch online zu lesen. 

 

top.tirol: In Albanien könnte nach Plänen von Premier Edi Rama künftig eine „KI-Ministerin“ namens Diella, Sonnenschein, die Vergabe öffentlicher Aufträge übernehmen, um so Korruption zu unterbinden. Auch für Österreich eine Überlegung wert?

Martin Kreutner: Aus der Marketingperspektive ein genialer Einfall, aus fachlicher Sicht dürfte das allerdings ein Rohrkrepierer werden. Die KI kann letztlich nicht mehr als jene Menschen, die sie programmiert haben. Bei Korruption geht es immer auch um menschliches Fehlverhalten, das mitunter strafrechtlich relevant sein kann. Was die politische Verantwortung betrifft, stellt man sich über das Delegieren an eine anonyme KI letztlich einen Persilschein aus. Das wird so nicht funktionieren.

Bei Albanien geht es mittelfristig um den Beitritt zur Europäischen Union. Vergangenes Jahr meinten Sie in einem ZiB2-Interview, Österreich wäre heute nicht mehr EU-aufnahmefähig. Bleiben Sie dabei?

Das ist immer noch der Fall. Ich wurde für diese Behauptung massiv kritisiert, aber das beruht auf Fakten. 1994 wurden die Kopenhagen-Kriterien eingeführt. Diese bedingen für EU-Neubeitritte unter anderem, dass die Justiz, inklusive Staatsanwaltschaften, derart unabhängig ist, dass sie nicht an ein politisches Organ berichten muss. Innerhalb der EU ist nur in Deutschland und Österreich die Konstruktion so, dass die oberste Spitze des staatsanwaltschaftlichen Weisungszuges beim Minister, der Ministerin liegt. Würde Österreich heute einen Beitrittsantrag stellen, würde die Kommission, vermutlich auch die anderen Mitgliedsstaaten, sagen, dass dies zuerst geändert werden muss. Auch im jährlichen Rechtsstaatlichkeitsbericht der Union, zuletzt im vergangenen Juli veröffentlicht, wird eingemahnt, das zu reparieren. Die angekündigte Bundesstaatsanwaltschaft wäre eine Möglichkeit dafür. Es wird auf die legistische Detailgestaltung ankommen, ob es gelingt.

 

Zur Person

Der Tiroler Martin Kreutner, Jahrgang 1964, durchlief die Offiziersausbildung beim Bundesheer, war unter anderem beim Jagdkommando und absolvierte unterm Blauhelm mehrere Auslandseinsätze.

Neben dem Offiziersberuf studierte Kreutner Rechtswissenschaften an der Uni Innsbruck. Von 2001 bis 2010 leitete er das Büro für interne Angelegenheiten im Innenministerium. Zudem war er erster Dekan der International-Anti-Corruption Academy in Laxenburg. Er fungiert als Berater für die Vereinten Nationen, den Europarat, die OSZE, Transparency International und die Weltbank. Zuletzt trat Kreutner vor allem als Leiter der unabhängigen Untersuchungskommission im Justizministerium in Erscheinung.

 

Sie versuchen derzeit, mit einem unter anderen vom ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer und Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss unterstützten Positionspapier Richtung zu machen. Justizministerin Sporrer signalisiert Offenheit.

Die Justizministerin hat sich wohl dazu bekannt, wesentliche Eckpunkte zu berücksichtigen. Aber wir müssen abwarten, was der interkoalitionäre Konsultationsprozess bringen wird. Der Lackmustest wird dann im Parlament stattfinden – für einige Bestimmungen braucht man eine Verfassungsmehrheit. Spätestens dann wird sich zeigen, welche Parteien wirklich für eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz eintreten, wie sie im Regierungsprogramm steht.

Welche sind die Kernforderungen des Gremiums?

Die Unabhängigkeit der Justiz begründet sich aus dem zentralen Prinzip der Gewaltenteilung: dass diese Gewalten eben getrennt sind in Legislative, Exekutive und die Justiz, die auch als Kontrollorgan agiert. Deren Unabhängigkeit muss gewahrt werden – es kann nicht sein, dass die Politik in Einzelstrafsachen bestimmen kann, ob Gerichte richtig entschieden haben oder ob eine Anklage erhoben werden darf. Weiters reden wir bei der Bundesstaatsanwaltschaft von der höchsten Fachspitze einer Fachinstitution. Da ist es mehr als naheliegend, dass nur ausgebildetes und qualifiziertes Fachpersonal dafür infrage kommen soll – also Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit Praxiserfahrung im Strafrecht.

2025 10 24 20h17 11

Es gibt schöne Euphemismen wie jenen der „Durchlässigkeit juristischer Berufe“. Aber stellen Sie sich vor, sie stehen vor einer Operation am Herzen und der Chirurg erklärt Ihnen, im Sinne der Durchlässigkeit medizinischer Berufe werden Sie von einem Psychiater operiert: Keine gute Idee. Wir sollten da bei den Fachspitzen bleiben. Deren Auswahl sollte, ein weiterer ganz wesentlicher Punkt, so erfolgen, dass politische Einflussnahme hintangehalten wird.

Woher kommen in Österreich die engen Verflechtungen zwischen Justiz und Politik? Das hat natürlich geschichtliche Wurzeln. 1873 hat Österreich vom sogenannten Inquisitionsprinzip umgestellt, bei dem Ankläger zugleich auch Richter waren. Das wurde aus guten Gründen getrennt. Mit der bürgerlichen Revolution, Mitte 19. Jahrhundert, sind immer mehr Bürger und Bürgerinnen in Richterämter gekommen, die bis dahin hauptsächlich vom Adel besetzt waren. Dadurch hat der Kaiser an Einfluss auf die Prozesse verloren. Zumindest bei den Staatsanwaltschaften hat er sich die Weisungsbefugnis bewahrt.

Über die Republikwerdung 1920 hinaus hat sich das in der Verfassung niedergeschlagen. Man hat das, trotz anhaltender Kritik aus dem In- und Ausland, nie wirklich behoben, im Grunde gerne so beibehalten. Denn so hatte man einerseits Zugang zu Informationen, andererseits konnte man auch Informationen in Strafverfahren einspeisen. In Einzelfällen ist auch bewiesen, dass es zu konkreten politischen Interventionen kam. Ob das vor Jahrzehnten die Lucona-Affäre war, der AKH-Prozess – oder jene Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.

Ist die weit verbreitete Annahme, dass die da oben es sich schon richten werden, also gerechtfertigt?

Sie berührt auf jeden Fall einen sehr wunden, validen Punkt. Diese Ungleichbehandlung, die wir in der Untersuchungskommission der Causa Pilnacek als Zwei-Klassen-Justiz formuliert haben, ist schon im Gesetz so angelegt. Das sind die sogenannten clamorosen Fälle, bei denen in staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Personen des öffentlichen Lebens faktisch anders behandelt werden als alle anderen. Da gibt es andere Verfahrensschritte, es muss mehr berichtet werden, Genehmigungen müssen extra eingeholt werden. All das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.

Die Handhabung der Vorwürfe rund um René Benkos Chalet N in Lech drängt sich auf.

Im konkreten Fall Chalet N gab es einige Fragezeichen. Ich kann dazu keine nähere Auskunft geben, nachdem es Teil der Kommissionsarbeit war.

Expolitiker unter Signa-Fahne, am Ende die größte Insolvenz der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Hätte es da nicht schon deutlich früher Alarm schlagen müssen?

Coolingoff-Phasen für ehemalige Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen wären sicher wünschenswert. Innerhalb der Privatwirtschaft ist derartiges längst üblich. Und welche Stellen da versagt haben, ist von extern schwer zu beurteilen. Man wird sich in der Aufarbeitung der Signa-Pleite jedenfalls fragen müssen, worin die Verantwortung von Aufsichtsräten eigentlich liegt. Ich will den Ermittlungen nicht vorgreifen, aber es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit so, dass an dieser breiten Pleite am Ende nicht niemand schuld gewesen sein kann.

2025 10 24 20h18 39

In der Causa Pilnacek hatten Sie als Leiter der Untersuchungskommission zu ermitteln, ob es zu politischen Interventionen kam.

Die Kommission ist hier nach intensiver Recherche einstimmig zum Schluss gekommen, dass es in Einzelstrafsachen derartige Interventionen und politische Einflussnahme gegeben hat. Untersuchungsgegenstand waren aber nicht per se die Todesumstände Christian Pilnaceks, sondern ob es im Zeitraum 2010 bis 2023 illegitimen Informationsfluss, Interventionen oder anderweitiges Compliancerelevantes Verhalten in Einzelstrafsachen gegeben hat.

Sie heben hervor, dass in der Causa einiges schon strukturell so gelagert war, dass politische Interventionen begünstigt wurden.

Pilnacek war dementsprechend auch ein Opfer des Systems. Wenn jemand dazu berufen wird, als Sektionschef einerseits die Fachlegistik für Strafrecht zu leiten, zusätzlich die oberste beamtete Weisungsbefugnis in Einzelstrafsachen hat, dann Generalsekretär im Justizministerium wird und de facto Sprecher des Justizministeriums ist: Da kommt man automatisch in Interessenkonflikte und Dilemmata, aus denen man kaum mehr herausfindet. Man hätte da von vorneherein auf eine Art interner Gewaltentrennung achten müssen. Derartige Funktionen sollte man nie nur einer Person übertragen.

Tonaufnahmen, E-Mails, Chats – dazu die wesentlich schnellere Verbreitung von Nachrichten: Wird es insgesamt schwieriger, Korruption geheim zu halten?

Ich bin mir nicht sicher, ob hier nur eine Verschiebung vom, kriminologisch gesprochen, Dunkelfeld ins Hellfeld passiert ist. Sicher ist hingegen, dass die Toleranz gegenüber der Korruption gesunken ist. Lange Jahre wurde vieles als Kavaliersdelikt abgetan, man richtet es sich halt. Heute wird die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit und nach Gleichheit vor dem Gesetz von einer sehr breiten Mehrheit erwartet und eingefordert. Man muss daher auch vorsichtig sein mit dem Reflex, die Korruption in Österreich habe zugenommen. Es mag sich in den Phänomenen eine Verschiebung ergeben haben. Bei der Kleinkorruption steht Österreich vergleichsweise sehr gut da. Das Problem sind die Klüngel, zu ausgeprägte Naheverhältnisse und Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft. Da ginge es am Ende auch ums eigenständige Wahrnehmen der gesetzlichen und moralischen Verpflichtungen durch Einzelne.

Immer wieder werden, wie zuletzt während des Falschaussage-Prozesses gegen Sebastian Kurz, die österreichische Justiz und die WKStA gezielt angegriffen und diskreditiert.

 Jeder Beschuldigte, jede Angeklagte hat das Recht, alle Rechtsmittel zu ergreifen. Was wir generell in vielen westlichen Staaten aber auch sehen, ist eine öffentliche Mobilmachung und sogenannte Slapp-Klagen, die über teils astronomische Schadensforderungen und Vorwürfe Stimmung gegen die Institutionen der Justiz machen, diese einschüchtern sollen. Das hatten wir in der jüngeren Vergangenheit leider auch in Österreich in ziemlich ausgeprägter Form.

In den USA unter Trump gehört Derartiges zur Tagesordnung. Was dort auch auffällt, ist eine Taktik, die grob besagt, dass was in aller Öffentlichkeit stattfindet, per se gar nicht Korruption sein kann. Sehen Sie solche Tendenzen auch bei uns?

Jedenfalls längst nicht so ausgeprägt wie in den USA. Man muss betonen, dass das angloamerikanische Rechtssystem ein ganz anderes ist als das europäische. In meinen Augen ist unser System ein wesentlich gerechteres. Die materielle Wahrheit muss ergründet werden – auf ihr beruht dann jedwede rechtliche Beurteilung. In den USA geht es auch im Strafrecht häufig darum, Deals abzuschließen, um gleich in Trumps Sprech zu bleiben. Also Vereinbarungen zwischen den Parteien, die es gar nicht zu einem Verfahren kommen lassen. Das mag manchmal gewisse Vorteile haben, es hat aber auch großes Missbrauchspotenzial, das einflussreichen und wohlhabenden Personen ermöglicht, großen Druck auszuüben. Auch was die Art der Korruptionsphänomene betrifft, möchte ich eine Lanze für Europa brechen. In den USA ist es via Wahlkampfspenden de facto möglich, sich ein Botschafteramt zu kaufen. Parteienfinanzierung in Millionenhöhe ist dort völlig üblich, bei uns unmöglich. Über einen Präsidenten, der von einem befreundeten Golfstaat einen Jumbojet geschenkt bekommt, reden wir da noch gar nicht. Teilweise ist das schon institutionalisierte Korruption, ein sehr durchdrungenes System.

Sie sagen, man muss einen belastbaren rechtlichen Rahmen schaffen – aber ohne moralischen Kompass und Eigenverantwortung des Einzelnen werde es nicht gehen.

Wir sehen zunehmend diesen Reflex zur Anlassgesetzgebung und den Schrei nach schärferen Regeln, sobald delinquentes Verhalten auftritt. Es gilt aber immer, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden. Wenn man immer nach völliger Sicherheit strebt, geht das zu Lasten der gesellschaftlichen und individuellen Freiheit. Andersrum geht es in Richtung Anarchie, jeder gegen jeden. Wir brauchen sicher Verbesserungen hier und da, wie eben die Einführung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft. Aber insgesamt ist das Rechtssystem in Österreich gut und umfassend ausgeprägt. Täterschaft eilt dem Gesetz letztlich immer einen Schritt voraus. Man kann nicht alles durch Strafen regeln. Es geht auch darum, im Sinne der sozialen Spielregeln verantwortungsvoll vorzugehen – insbesondere für jene, die in Leitungsfunktionen stehen. Sonst ist est ähnlich wie bei Eltern, die ihren Kindern Vorschriften machen, an die sie sich selbst nicht halten. Da mangelt es dann an Glaubwürdigkeit, es wird nicht viel bringen.

Sie sind so etwas wie der Antikorruptions-Anchorman Österreichs. Fühlen Sie sich in dieser Rolle wohl?

Das ist keine Rolle, die ich mir so ausgesucht habe. Es hat sich vielmehr aus dem beruflichen Kontext ergeben, wurde mir zugeschrieben. Meinen ersten Korruptionsfall habe ich in sehr jungen Jahren bei den Vereinten Nationen von meinem Vorgänger geerbt. Als ich Jus studiert habe, lag mein primäres Interesse noch eher beim Völkerrecht. Aber es hat sich beruflich so entwickelt, dass ich im Strafrecht gelandet bin. Am Ende ist es vielleicht auch einem gewissen Tiroler Sturschädel geschuldet, dass ich dem Thema treu geblieben bin. Ich musste oft meinen Finger in Wunden legen – dabei fasst man klarerweise nicht nur Freundschaften aus. Aber soll so sein, das gehört dazu.

Vielen Dank für das Gespräch.

26. Oktober 2025 | AutorIn: Michael Rathmayr | Foto: Michael Rathmayr

top.tirol Newsletter

Wir informieren Sie kostenlos und wöchentlich über Tirols Wirtschaftsgeschehen