Herbert Tanner ist Leiter der Softwareentwicklung im Bereich „Digitale Industrie“ bei Siemens Österreich.
Im Interview spricht er über die Konkurrenz mit China und den USA, die Chancen von Künstlicher Intelligenz und grüner Technologie.
Die heimische Industrie steht angesichts der Herausforderungen auf dem Weltmarkt und der technologischen Weiterentwicklungen unter enormem Druck. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Wir haben uns mit den Lohnerhöhungen der letzten Jahre und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Produktivität keinen großen Gefallen getan. Das zweite große Problem sind die Energiekosten. Diese sind bis zu einem gewissen Grad auch selbstverschuldet. Hier können die Industrieunternehmen zwar wenig dafür, müssen aber die Konsequenzen tragen.
Nicht nur Österreich, auch Europa verliert gegenüber China und den USA rasant an Wettbewerbsfähigkeit. Wie können wir mit diesen großen Playern mithalten?
Das ist zweifellos eine große Herausforderung. Es wird ein Kooperationsmodell notwendig sein, bei dem jeder seinen Beitrag leistet. Generell bin ich der Meinung, dass man für seine eigenen Entscheidungen die Verantwortung übernehmen muss. Ich kann wenig damit anfangen, wenn beispielsweise Innovations- und Forschungsbudgets gefordert werden, diese Themen aber nicht im eigenen Unternehmen im Fokus stehen.
Wir brauchen politische Rahmenbedingungen – in Österreich für die Dinge, die wir selbst beeinflussen können, und in der Europäischen Union, damit wir geeint auftreten. Eine große Chance sehe ich im Bereich Nachhaltigkeit und Ökodesign. Hier verfügen wir über gute Technologien, Unternehmen und Erfahrungen. Das nützt uns jedoch wenig, wenn wir die Produkte nicht verkaufen können, weil die Regeln nicht einheitlich sind und jemand, der nicht nachhaltig produziert, günstiger anbietet. Europa hat in der Vergangenheit zu oft nachgegeben.
Mit welchen Veränderungen in der Industrie können wir in den kommenden Jahren rechnen?
Bei Siemens befinden wir uns mitten auf dem Weg zur Software-Company und sind mittlerweile die drittgrößte Softwarefirma weltweit. Der Trend geht eindeutig in Richtung Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz. Die Anforderungen an KI in der Industrie sind naturgemäß hochkomplex, doch die Kunden haben kaum Berührungsängste damit.
Wie stehen Sie zu einer strengeren Regulierung von KI? Kritiker bezeichnen das Regelwerk der EU als Innovationsbremse.
Hier muss man differenzieren. Einerseits sind gesetzliche Rahmenbedingungen notwendig, andererseits wünsche ich mir ein pragmatisches Vorgehen. Wenn Regelungen in der Praxis nicht mehr umsetzbar sind, funktioniert das nicht.
Gerade im Bereich Cybersecurity spielt KI auch eine große Rolle.
Im Bereich der Cybersicherheit gibt es erhebliche Bedrohungen. Sowohl Angreifer als auch Verteidiger setzen auf Künstliche Intelligenz. Die dynamische Entwicklung in diesem Bereich – durch neue Methoden und Simulationen – hat die Herausforderungen, entsprechende Abwehrmechanismen zu implementieren, erheblich vergrößert.
Wo wird KI noch eingesetzt?
Seit Jahren arbeiten wir gemeinsam mit Universitäten und Industriepartnern am Thema Kunststoffrecycling. Dabei geht es beispielsweise darum, verschiedene Kunststoffkomponenten in einem Reststoffstrom zu erkennen, um eine höhere Sortiertiefe zu erzielen. KI-Modelle helfen dabei, gewünschte Merkmale zu identifizieren, um einzelne Komponenten besser trennen zu können.
Nachhaltigkeit ist auch ein zentrales Thema Ihrer Arbeit. Bei grünen Themen wird jedoch oft der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit beschworen. Was entgegnen Sie dem?
Kein Unternehmen kann es sich leisten, nicht in diese Richtung zu denken und zu investieren. Einerseits sind da die Kunden, andererseits die Natur. Die Auswirkungen des Klimawandels erleben wir mittlerweile fast täglich. Wir sind massiv gefordert, mehr zu tun. Europa bietet uns viele Möglichkeiten, und am Ende werden nur jene Produkte bestehen, die nachhaltig gestaltet und produziert sind. Dass wir zwischendurch durch ein „Tal der Tränen“ gehen, ist absehbar. Dennoch sehe ich darin eine große Chance. Nachhaltige Energieversorgung wäre in Zeiten wie diesen eine Megachance: Wir könnten im eigenen Land investieren, wären weniger abhängig vom Ausland und hätten eine stabilere Versorgung. Wir können die Lösungen bieten, aber die Politik muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie auch umsetzbar sind.