Interior-Experte Martin Wetscher vom gleichnamigen Möbelhaus im Zillertal hat sich auch heuer wieder am Salone del Mobile in Mailand umgesehen. Er berichtet von seinen Eindrücken und Beobachtungen auf der weltweit größten Möbelmesse.
Dass die Mailänder Möbelmesse im Frühjahr stattfindet, macht mit Sicherheit einen Teil ihrer Magie aus. Die Vorahnung von Sommer in Italien ist einfach eine gute Basis, um Wintermüde aus aller Welt mit Neuem und Frischem, Gewagtem und Verblüffendem zu begeistern. Auch die 62. Ausgabe des Salone del Mobile sowie die vielen Spektakel, die seine Heimatstadt parallel stets zu bieten hat, zogen alle Teilnehmenden wie üblich in ihren ganz speziellen Bann. Und was gibt es wirklich Neues aus Mailand zu berichten? Martin Wetscher und sein Team waren dort.
Vom 16. bis 21. April eilte die internationale Design Community in diesem Jahr nach Mailand, um neue Trends und innovative Ideen zu präsentieren, zu sichten, zu übernehmen. Hier stehen alle Zeichen auf Frühling, Blüten, Farben – ein zartes Erwachen nach dem langen Winter. Alles blüht auf, alle blühen auf. Das Glück liegt sowieso im Süden, und sofort ist es da – beim caffè auf der Piazza, beim Bummel durch die Gassen der Stadt, in denen die Milan Design Week mit zahllosen, sich gegenseitig übertreffenden Veranstaltungen in atemberaubende Locations lockt und sogar in den übervollen Messehallen.
Viel Farbe hier, pure Reinheit dort
Auf den ersten Blick geben frische Farben wieder den Ton an. Zart, pastellig, leicht und bunt – Kraft und Saft für die sich noch im Winterschlaf befindliche Branche. Als Leitfarbe sieht man ein mutiges, starkes Orange. Es ist nicht mehr die Knallfarbe der 1970er, nicht mehr so illusorisch-verträumt, sondern ein durch Ocker, Sand, Terrakotta und Cognac geerdetes neues Ganzes – mit viel richtigem Rot aber auch Grün kontrastiert. In diesem Orange, das teilweise sehr plakativ eingesetzt wird, steckt ein gewisser Aufbruch. Andernorts wiederum findet man eine helle, nahezu rein wirkende Welt. Das Zentrum dieses Farbenpurismus ist Flexform. Hier fließt jungfräuliches Weiß über großzügige Sofagruppen, begleitet von schokobraunen Kedern und kleinen, aparten Einzelmöbeln in sanften Eichentönen.
Retrospektiven und Materialfeinheiten
Apropos 1970er: Formell sind vielerorts vertraute Linien aus einer Zeit zu sehen, die für Umbruch ebenso wie für Krisen steht. Eine Zeit, in der Möbel ausladend und Farben schrill wurden. Provozierende Formen altbewährt Spießiges ablösten. Bei Minotti etwa taucht man tief – und mit typisch italienischer Lässigkeit – in die entsprechende Designwelt ein. Bei den Materialien bleibt es technisch und hochwertig. Ästhetik und Funktion gehen präzise und raffiniert einher. Holz als Konstruktionsmaterial hat ausgedient. Im Innenleben der Möbel finden sich nur mehr feinste, clevere Aluminium- und Metallkonstruktionen, die für mehr Exaktheit, Langlebigkeit und Stabilität sorgen. Eine Parallele zur Architektur, in der ein Griff nach den Sternen im wahrsten Wortsinn, Stichwort Wolkenkratzer, ebenfalls nur dank ausgefeilter Stahlverbindungen möglich ist. Dem Holz wird die Rolle der äußeren Veredelung übertragen, auch hier häufig umrahmt oder begleitet von Stein und Metall in feinster Verarbeitung. Es gibt alle Formen, von organisch bis eckig.
…und am besten alles auch für draußen
Passend zur Lust auf Frühling und Sonne sind wie erwartet auch wieder großartige Outdoor Möbel in herausragender Qualität und Beständigkeit zu sehen. Das Leben kann vollumfänglich im Freien stattfinden, in jeder Stilrichtung, Farbe, Haptik und Optik, mit Küchenelementen, Tischen, Leuchten, Teppichen. Es muss weder auf Komfort noch auf Auswahl verzichtet werden. B&B Italia, Baxter und Cassina stellen Teile ihrer Outdoorkollektionen auf die Straße – zum Beweis, dass sie jedem Wetter standhalten.
Abseits der bühnenreifen Ausstellungen in Palais, Fabrikhallen und Showrooms ist auf der Messe wieder weniger Inszenierung als in den letzten Jahren zu sehen. So wie sich im eigenen Kleiderschrank wohl auch eher Prêt-à-porter statt Haute Couture findet. Letzteres ist zwar wichtig für die Inspiration, für echten Spaß am Einrichten zählt jedoch vor allem der praxisorientierte Blick auf das Gezeigte.
Dieser Blick ergibt folgendes Fazit: Es geht wieder um den ganzen Raum, um die Abstimmung aller Darsteller. Um Zusammenspiel und Gleichgewicht von Wandvertäfelung und Decke, Boden und Raumteiler, ikonenhaften Einzelmöbeln und eleganten Einbauten, um ein Bühnenbild für das Erleben der eigenen Persönlichkeit. Es gibt mehr wirklich ausgefeilte Möbel, mehr Raum, mehr Materialien, mehr Kraft in der Farbgestaltung.
Zur Person:
Martin Wetscher leitet das Familienunternehmen Wetscher in vierter Generation. Aufgewachsen zwischen passionierten Tischlern und Innenarchitekten im Zillertal, ist er seit jeher international orientiert und stets am Puls der Zeit.