Der ehemalige CEO von Amazon Germany besucht diese Woche Tirol. Beim ersten Business-Event „Spot On“ in Reutte organisiert von Avora spricht er über Wirtschaft, Handel und Digitalisierung – mit top.tirol teasert er seine wichtigsten Thesen an.
Zur Person
Ralf Kleber war 20 Jahre lang CEO von Amazon Germany. Unter seiner Leitung wurde Deutschland zum zweitwichtigsten Markt des US-Amerikanischen Online-Versandhändlers. Heute gilt er als einer der gefragtesten Experten in Sachen E-Commerce und ist gefragter Interviewpartner und Keynote-Speaker.
Herr Kleber, wenn Sie jetzt auf die letzten Jahrzehnte zurückblicken: Welcher Moment war in Ihrer Wahrnehmung der Wendepunkt im digitalen Handel?
Aus meiner Sicht gab es nicht den einen Moment, sondern viele unterschiedliche wichtige Ereignisse, die den digitalen Handel positiv beeinflusst haben. Preistransparenz und Service waren von Anfang an sehr wichtig, aber auch unter anderem die generelle Verfügbarkeit und Geschwindigkeit des Internets sowie die Schaffung der Möglichkeit der Nutzung mobiler Endgeräte oder digitaler Bezahlverfahren.
Wie digital ist der Handel heute im DACH-Raum und wo sehen Sie die größten Defizite?
Schaut man rein auf die Zahl der Onlinenutzer, dann liegt die DACH-Region weit über 90 Prozent der Gesamtbevölkerung zwischen 14 und 74 Jahren. Der Großteil davon nutzt das Internet auch zum Shoppen. Was jedoch die Gesamtausgaben im Netz im Vergleich zu den Ausgaben im Handel insgesamt betrifft, liegt der DACH-Raum noch hinter Spitzenreiter USA zurück. Dort werden bereits über 1 Billion US Dollar Umsatz und damit rund 20 Prozent des Handelsvolumens Online erzielt. Der Onlinehandel in DACH verzeichnet aber immer noch hohe Wachstumsraten und wird unter anderem von der weiterhin steigenden Nutzung mobiler Endgeräte und Flexibilisierung von Kernbereichen wie der Lieferung profitieren.
Viele Händler sprechen gerade sehr viel von KI, Automatisierung und Datenanalyse. Welche Technologien sind aus Ihrer Sicht wirklich entscheidend für die Zukunft des Handels?
Ich weiß nicht welche Technologie in der Zukunft entscheidend sein wird, ich weiß aber mit Gewissheit das man sich mit jeglicher Technologie, KI oder auch mit Datenanalysen befassen muss, um festzustellen, ob und wo und inwieweit dem eigenen Geschäft daraus ein Nutzen entstehen kann. Über KI zum Beispiel zu reden nutzt aus meiner Sicht wenig. Die unterschiedlichsten Formen der KI hingegen auszuprobieren oder von mir aus auch damit zu tüfteln, bringt viel mehr.
Welche Fähigkeiten brauchen Händler heute unbedingt im Team?
Meine Favoriten: Neugier, Lernbereitschaft und den Mut zur Veränderung und das am besten jeden Tag. Ich möchte alle ermuntern mehr zu experimentieren, Fehler zu machen und daraus zu lernen.
Lokale, regionale Wirtschaftskreisläufe gewinnen an Bedeutung. Wie kann Digitalisierung helfen, regionale Händler zu stärken, statt sie zu verdrängen?
Gerade der regionale Händler sollte von dem nahezu unbegrenzten, überregionalen Kundenpotenzial profitieren können. Es wird immer leichter den eigenen Internetauftritt zu gestalten und zu internationalisieren und damit bestehende und neue Kunden direkt zu erreichen. Über die Verfügbarkeit von Cloudservices oder KI hätten wir uns in den Anfangsjahren bei Amazon auch sehr gefreut.
Was erwarten Kunden heute vom Handel, das vor 10 Jahren noch kein Thema war?
Darf ich das umformulieren? Viel spannender ist es doch zu schauen, was Kunden heute, morgen oder in der Zukunft immer noch erwarten, was vor 10 Jahren schon ein Thema war? Günstige Preise, ein vielfältiges Angebot und hohe Servicebereitschaft waren und sind für mich die allerwichtigsten Grundeigenschaften, die jeder im Handel Tätige, für seine Kunden bereitstellen und permanent verbessern muss.
Stationärer Handel steckt gerade in einer Krise: Glauben Sie an ein Comeback? Und wie müsste ein moderner Laden aussehen, um relevant zu bleiben?
Der stationäre Handel sollte sich permanent ändern, anpassen und den neuen Gepflogenheiten der Kunden nachkommen. Das gilt nämlich auch für den Onlinehandel. Das Einkaufen und die Kunden haben sich maßgeblich verändert und werden das auch weiterhin tun. Da hilft nur agil bleiben und mutig neue Schritte zu gehen ohne Bewährtes gleich über Bord zu werfen. Wem das gelingt – online oder stationär – der wird auch erfolgreich sein.
Wenn Sie heute selbst ein Handelsunternehmen gründen würden – wie sehe es aus?
Egal mit welchem Produkt ich handeln würde, wäre der Einsatz von Technologie zentral, um eine möglichst individuell relevante Kundenansprache und -betreuung zu ermöglichen. Beispielsweise sollte sich die Zustellung oder Abholung eines Produktes idealerweise immer nach der individuellen Situation des Kunden richten und möglichst flexibel darauf reagieren.
Welche Fehler sollten UnternehmerInnen unbedingt vermeiden, wenn sie versuchen, ihre Organisation zu digitalisieren?
Ein Fehler, den ich versuchen würde zu vermeiden, wäre zu viel Zeit mit Planung und Abstimmung zu verbringen. Kleine Teams und kleinere Schritte bei der Digitalisierung mit der Unterstützung von Service- und Partnerunternehmen bringt auf alle Fälle Geschwindigkeit. Außerdem kann man so die Anfangsinvestitionen geringer halten was es auch leichter machen kann, die Richtung zu verändern. Wichtig ist daneben eine positive Fehlerkultur zu schaffen, in der man nach dem „was“ nicht nach dem „wer“ fragt.
Zur Veranstaltung
Am 5. November veranstaltet Avora sein erstes Business-Event in Reutte. Das von Fabian Jenewein gegründete Unternehmen sieht sich als Lernplattform für unternehmerischen Erfolg. Ziel von Avora und ihrer ersten Veranstaltung soll es sein, Unternehmen zusammen zu bringen, die nicht nur vom Wandel reden, sondern ihn gestalten. Neben Ralf Kleber stehen noch weitere Hochkaräter wie Markus Bair, Geschäftsführer von Moreboards, oder Harald Stenico, Geschäftsführer von eWelt und ReD Zac am Podium. Mehr Infos gibt es hier.