Der Fachkräftemangel wird für Firmen zu einer immer größeren Herausforderung – dennoch bleibt das Potenzial von Frauen nach ihrer Karenzzeit oft ungenutzt. Shared Leadership könnte eine Lösung sein. Wie das funktioniert, erklärt Gabriele Strasser-Kreil.
Frau Strasser-Kreil, gibt es einen Fachkräftemangel im Management- und Führungsbereich?
Gabriele Strasser-Kreil: Ja, insbesondere in Positionen, die spezifische Expertise erfordern, ist der Mangel an Fachkräften deutlich spürbar. Das eigentliche Problem sehe ich aber nicht im Fachkräftemangel an sich, sondern in der mangelnden Attraktivität und Flexibilität der angebotenen Stellen, die oft nicht den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen entsprechen. Obwohl der Markt zahlreiche Optionen bietet, passen ArbeitgeberInnen die Rahmenbedingungen selten an die Erwartungen zukünftiger Führungskräfte an.
Start-ups haben hier meist einen Vorteil, da sie flexibel und zeitgemäß agieren. Traditionelle Unternehmen hingegen tun sich aufgrund ihrer festgefahrenen Strukturen schwerer mit notwendigen Veränderungen. Gerade diesen Betrieben rate ich, ihre Arbeitsmodelle zu überdenken, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.
Sind Frauen in Führungspositionen ausreichend vertreten?
Leider nicht. Die klassische Rollenverteilung sieht vor, dass Frauen die Kinderbetreuung und Hauptarbeit in der Familie übernehmen. Nach einer Auszeit kehren viele Frauen in Teilzeit zurück, um weiterhin für die Kinder da zu sein. Unter diesen Bedingungen ist es für berufstätige Frauen schwierig, in Führungspositionen aufzusteigen.
Wäre eine größere Zahl an Frauen in der Chefetage ein Vorteil für Unternehmen?
Vielfalt ist immer eine Bereicherung. Frauen bringen andere Perspektiven ein. Das kann sich wunderbar ergänzen. Entscheidend ist der richtige Mix der Stärken. Ebenso wichtig ist eine altersgemischte Chefetage, da das Wissen erfahrener MitarbeiterInnen an jüngere KollegInnen weitergegeben werden kann, was den Austausch und die Weiterentwicklung im Unternehmen fördert.
Inwiefern kann da ein Führen-in-Teilzeit-Modell hilfreich sein?
Das Modell der geteilten Führung eröffnet sowohl für die MitarbeiterInnen als auch für die Unternehmen neue Chancen. Es trägt dazu bei, Karrierebrüche nach Auszeiten wie der Elternzeit zu vermeiden, wovon insbesondere Frauen profitieren. Ein Beispiel: Eine Projektleiterin kehrt nach einer selbst gewählten Pause in Teilzeit zurück. Oft wird ihr dann signalisiert: „Konzentrier dich auf weniger anspruchsvolle Aufgaben, du hast ja schon genug daheim zu tun.“ Was aber, wenn die Führungskraft stattdessen sagt: „Deine Führungsqualitäten sind uns wichtig. Wie können wir sicherstellen, dass du unser Team weiterhin erfolgreich leitest?“
Wie kann das umgesetzt werden?
Natürlich ist es in vielen Fällen schwierig, eine Führungsposition in Teilzeit zu übernehmen. Meistens haben Leitungsjobs ein großes Arbeitsvolumen, das in 25 Stunden nicht abgedeckt werden kann. Hier bietet sich die Möglichkeit, die Verantwortung auf zwei Personen zu verteilen und ein Führungstandem zu bilden. In der Praxis kann das so aussehen, dass beide zweieinhalb oder drei Tage pro Woche arbeiten. Die Aufgabenverteilung sollte individuell nach Stärken und Vorlieben erfolgen. Wenn zum Beispiel eine Person kommunikativ ist und die andere gut mit Zahlen umgehen kann, ist es sinnvoll, die Aufgaben entsprechend aufzuteilen. So ergänzen sich die Fähigkeiten optimal.
Wie kann das funktionieren, ohne dass zu viel Zeit für die Kommunikation zwischen den JobpartnerInnen aufgewendet werden muss?
Die Sorge um eine gute interne Kommunikation ist bestimmt eines der größten Bedenken und Hindernisse im Prozess. Dabei kommt es auf die organisatorische Vorbereitung sowie auf die Stärkung der Führungskräfte durch Schulungen und Coachings an.
Auf organisatorischer Ebene sind mehrere Schritte notwendig. Alle Beteiligten müssen verstehen, wie das System funktioniert, und es mittragen. Klare Stellenbeschreibungen und eine präzise Rollenverteilung sind ebenso essenziell wie die sorgfältige Auswahl von JobpartnerInnen, die sich ideal ergänzen. Meetings sollten effizient, kurz und ergebnisorientiert gestaltet werden.
In Führungstandems muss das Ego zurücktreten. Eine Kultur des Vertrauens, ein offenes Menschenbild, Konsensfähigkeit sowie klare Kommunikation, Feedback- und Reflexionskompetenz sollten aktiv gefördert werden. Es braucht also noch mehr soziale Kompetenz.
Welche Vorteile bringt die geteilte Führung?
Unternehmen können damit auf einen größeren Talentpool zugreifen und sowohl Männer als auch Frauen ansprechen, die sich mehr Zeit für die Familie wünschen, ohne auf ihre Karriere zu verzichten. Wer diese Talente nicht anspricht, verschenkt wertvolle Ressourcen – und attraktive Arbeitsmodelle sind der Schlüssel, um diese qualifizierten Fachkräfte zu gewinnen.
Ein flexibles Arbeitsmodell stärkt die Bindung an das Unternehmen und ist damit ein wirksames Mittel gegen den Fachkräftemangel. Durch die Teilung einer Vollzeitstelle können Eltern beispielsweise die Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen besser organisieren, ohne auf ihre beruflichen Ziele verzichten zu müssen. Zudem wirkt sich ein solches Konzept positiv auf die Rekrutierung aus, da es potenziellen Beschäftigten zeigt, dass das Unternehmen moderne, lebensphasenorientierte Arbeitsweisen unterstützt, was wiederum die Attraktivität des Unternehmens deutlich erhöht.
Was brauchen Unternehmen, um das Modell erfolgreich umzusetzen?
Zunächst muss das Bewusstsein dafür geschaffen werden. Leider geschieht das oft erst dann, wenn der Fachkräftemangel deutlich spürbar wird. Vor allem im Bereich Employer Branding sollten Unternehmen aktiv werden. Eine Umfrage von Stepstone im Frühjahr ergab, dass Personalverantwortliche zwar wissen, dass flexible Arbeitsformen und Teilzeitmodelle gefragt sind, aber weniger als zehn Prozent der befragten Unternehmen diese auch tatsächlich anbieten. Oft sind also ein Umdenken und eine strategische Neuausrichtung in den Unternehmen notwendig, um dem Problem zu begegnen.
Jobsharing erfordert aber auch ein hohes Maß an Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen JobpartnerInnen und Vorgesetzten. Aber auch eine gute Organisation und eine klare Aufgabenverteilung sind entscheidend. Alle Teammitglieder müssen über Abläufe, Zuständigkeiten und Erreichbarkeiten informiert sein, um eine reibungslose Zusammenarbeit zu gewährleisten.
Welche Kosten sind damit verbunden?
Betrachtet man nur die Ausgaben, entstehen natürlich zusätzliche Kosten. Berücksichtigt man jedoch die Effizienz, ergibt sich ein anderes Bild: Die Produktivität der Teams kann deutlich gesteigert werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine gut organisierte Arbeitsstruktur die Effizienz steigert. Dafür ist jedoch die Kooperation von KollegInnen und Führungskräften unerlässlich. Mit dieser Unterstützung übersteigt der Nutzen die Kosten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Als ausgebildete Trainerin und Kommunikationsexpertin widmet sich Gabriele Strasser-Kreil der ganzheitlichen Teamentwicklung und dem Führungskräftetraining. In ihren Workshops und Beratungen betrachtet sie MitarbeiterInnen und Organisationen mit wirtschaftspsychologischen und systemischen Konzepten.