Die Autoindustrie leidet derzeit stark am globalen Halbleitermangel und mit ihr der heimische Autohandel.
Obwohl immer wieder Neuwagen ausgeliefert werden, kommt es aufgrund fehlenden Microchips zur Stilllegung ganzer Fertigungsstraßen bei allen großen Herstellern. Experten rechnen damit, dass dieses Jahr zehntausende Autos nicht produziert werden können.
Im top.tirol Interview erklärt Erwin Cassar, Geschäftsführer von Porsche Inter Auto, wie lange Käufer auf ihr Auto warten müssen, warum es trotzdem ratsam ist, sich noch dieses Jahr seinen Neuwagen zu sichern und welchen Einfluss die Lieferengpässe auf den Geschäftserfolg der Tiroler Autohändler haben werden.
Der weltweite Mangel an Microchips führt derzeit zu massiven Produktionsausfällen in der Autoindustrie. Haben Sie so eine Situation schon einmal erlebt?
Erwin Cassar: An so eine derart drastische Situation kann ich mich nicht erinnern und ich bin jetzt doch schon 38 Jahre lang im Geschäft. Es gab immer mal wieder Ereignisse, die zu Produktionsengpässen geführt haben, aber so dramatisch wie es jetzt ist, war es noch nie. Man sieht aber auch, dass nicht nur die Autobranche, sondern alle Wirtschaftszweige, in denen Halbleiter eine zentrale Rolle spielen, betroffen sind.
Was bedeutet diese angespannte Situation für den heimischen Handel? Folgt nach einer kurzen Erholung die nächste Krise?
Ich sehe es als nicht ganz so schlimm, wie es sich im Moment präsentiert. Auch im ersten Corona-Jahr konnten wir am Ende des Jahres noch ein gutes Geschäftsergebnis einfahren. Wir konnten viel des Ausfalles, wenn auch nicht alles, aufholen. In diesem Jahr war die Nachfrage nach Neuwagen noch größer. Im ersten Halbjahr konnten wir sehr viele Kunden erreichen und haben sehr viele Fahrzeuge verkauft. Deshalb glaube ich, dass es trotz der Lieferengpässe ein gutes Geschäftsjahr werden wird.
Wie reagieren die Kunden auf die Lieferengpässe?
Der Großteil der Kunden hat mittlerweile Verständnis für die Situation, da wirklich alle Autohersteller betroffen sind und auch alle andere Branchen, in denen Halbleiter verbaut werden, in Mitleidenschaft gezogen wurden. Einige Kunden, die zum Beispiel mit dem Auto auf Urlaub fahren wollten und es der aufgrund langen Wartezeiten nicht konnten, trifft es natürlich besonders hart.
Wie halten Sie trotz langer Lieferzeiten das Geschäft am Laufen?
Wir verkaufen Neuwagen auf Lieferzeit, bieten unseren Kunden dafür aber besondere Vorteile: zum Beispiel Preisgarantien für den Neuwagenkauf und den Rückkauf des Gebrauchten. Damit können wir Kunden garantieren, dass, wenn sie jetzt einen Neuwagen bei uns kaufen, sie ihn auch zum gesicherten Preis im Frühling oder Sommer 2022 bekommen werden. Damit werden unsere Kunden nicht durch kommende Preissteigerungen benachteiligt. Die Vorfreude auf das neue Auto wird sich aber verlängern.
Derzeit ist die Situation die folgende: Wir bekommen von den Werken schon noch Autos geliefert. Welche das sein werden, können wir uns aber nicht aussuchen. Im Herbst werden wir Autos für Kunden zur Verfügung haben, die einen akuten Bedarf haben – auch wenn das nur in begrenzter Zahl sein wird.
Wie prekär ist die Lieferlage? Wie lange muss ich warten, wenn ich heute einen Neuwagen kaufe?
Für beliebte Modelle muss man im Durchschnitt sechs Monate warten, obwohl es auch hier manchmal die Möglichkeit gibt, ein Auto innerhalb von zwei Monaten zu bekommen. Bei Seat haben wir eine sogenannte „Fastlane“ bei einzelnen Modellen, durch die wir im September wieder eine Lieferzeit von acht Wochen garantieren können, das gilt aber nicht für alle Marken und Modelle.
Generell kann man sagen: umso mehr Hightech in einem Auto steckt, umso schwieriger ist derzeit die Lieferung. Es ist von Hersteller zu Hersteller verschieden. Am schnellsten bekommt man Wagen der Kompaktklasse. Wir werden heuer noch Autos liefern können, aber eben nicht jedes Modell.
Kompaktwagen bis hinauf zu einigen Modellen der Mittelklasse können schneller geliefert werden, die längsten Lieferzeiten gibt es sicher bei den hochpreisigen Modellen, in denen sehr viel Technik steckt und die ohne die fehlenden Halbleiter einfach nicht ausgeliefert werden können.
Wie ist die Situation bei gewerblichen Fahrzeugen?
Durch die Änderung bei der NoVA hatten wir einen enormen Vorzieheffekt. Diese Änderung trat mit 1. Juli 21 in Kraft. Deshalb haben wir im ersten Halbjahr so viele Fahrzeuge verkauft, wie normalerweise in eineinhalb Jahren. Fahrzeuge die bereits gekauft wurden, werden alle noch heuer ausgeliefert werden. Sie müssen bis spätestens 31. Oktober 2021 angemeldet werden, da sonst die NoVA zu bezahlen wäre. Durch diese gesetzliche Änderung erhalten wir eine bevorzugte Belieferung von den Produzenten, weil hier eine Sondersituation in Österreich herrscht. Durch diesen Vorzieheffekt ist die derzeitige Nachfrage zurückhaltend. Der Bedarf für dieses Jahr wurde aus meiner Sicht schon gedeckt. Wenn bei einem Unternehmen jetzt akuter Bedarf anfällt, gibt es sicher eine Lösung, auch wenn es nicht immer das Wunschmodell ist.
Welche Marken und Modelle sind besonders betroffen?
Wie bereits gesagt, sind die Lieferzeiten bei der Ober- und Luxusklasse am längsten. Auch viele SUV-Modelle sind von den langen Lieferzeiten betroffen, da hier die Nachfrage so groß ist. Eine Ausnahme ist hier der Cupra, hier sind gerade neue Modelle auf den Markt gekommen, die vorproduziert wurden und die jetzt verfügbar werden, wie der Cupra Formentor. Man kann nicht generell sagen, dass es bei dieser oder jener Marke gar keine Autos mehr gibt. Es gibt immer wieder Modelle, die früher lieferbar sind als andere.
Ich rate jetzt schon den Neuwagen zu bestellen. Im Frühjahr kann bei den vielen Modellen eine Lieferung garantiert werden. Das ist eine gute Zeit ein neues Auto zu übernehmen. Gleichzeitig sollte man sich vom Händler den Neuwagenpreis jetzt schon garantieren lassen und wenn ein Gebrauchtwagen eingetauscht wird, dann auch den Preis für den Gebrauchten. Auch wenn ich das Auto erst im Frühling bekomme, kann ich den Kauf jetzt schon zu fixen Bedingungen abschließen.
Gibt es Unterschiede bei den Antriebsarten?
Bei uns sind derzeit noch elektrisch betriebene Autos leichter lieferbar als Wagen mit Verbrennungsmotoren. E-Autos wurden in den letzten Monaten stärker forciert, auch in der Produktion, und deshalb ist auch der Bestand höher, da hier bereits vor der Verknappung mehr Produktionskapazitäten zur Verfügung gestellt wurden.
Was sind die Gründe für die derzeitige Lieferengpässe?
Die Ursachen liegen im vergangen Jahr. Die Produzenten wussten schlichtweg nicht, wie es durch die Corona-Pandemie weitergehen wird. Dadurch wurden die Bestellungen im elektronischen Bereich zurückgefahren. Die Hersteller haben schon damit gerechnet, dass die Nachfrage 2021 wieder anziehen wird und eine dementsprechende Einkaufspolitik betrieben, die Zulieferer in der Halbleiterindustrie konnten diese Bestellungen aber nicht mehr erfüllen. Durch verschiedene Faktoren, wie Pandemie bedingte Werksschließungen, extrem gesteigerte Nachfrage bei Unterhaltungselektronik, Computern und Smartphones oder dem Ausfall von wichtigen Verteilzentren, wie dem Hafen von Ningbo, kam die gesamte globale Lieferkette aus der Balance und hat sich bis jetzt noch nicht wirklich stabilisiert.
Bis wann rechnen Sie mit einer Entspannung?
Die wirkliche Entspannung der Situation, bei der die Lieferzeiten wirklich wieder bei allen Modellen aller Marken kürzer werden, wird meiner Meinung nach Mitte nächsten Jahres kommen. Bei einigen Modellen werden sich die Lieferzeiten schon jetzt im Herbst wieder verkürzen. Die wirkliche Normalisierung der Lage wird aber wohl erst Mitte nächsten Jahres erfolgen.
Auch die Preise bei Gebrauchtwagen sind hoch, wird sich das wieder ändern?
So lange Neuwagen nicht verfügbar sind, wird der Gebrauchtwagenpreis hoch bleiben. Sobald wieder Autos verfügbar werden, wird sich der Gebrauchtwagenpreis wieder am alten Niveau einpendeln. Es ist aber jeder gut beraten sich jetzt einen Gebrauchtwagenpreis zu sichern. Wir wissen alle nicht, ab wann wirklich wieder mehr Autos verfügbar sein werden. Wenn die Lage Mitte nächsten Jahres besser wird, kann es aber noch bis in den Herbst dauern, bis die Preise bei den Gebrauchtwagen niedriger werden. Deshalb rate ich nicht zu zu warten.
Sinkt durch die langen Wartezeiten die Nachfrage?
Bisher sehe ich keinen Rückgang in der Nachfrage. Gerade im gewerblichen Bereich erleben wir, dass durch die Erholung der Wirtschaft die Nachfrage nach Nutzfahrzeugen aber auch PKWs extrem hoch ist, sie geht auch stark in Richtung Elektromobilität.
Auch bei den Privatkunden wollen viele ihr Geld investieren, auch wenn sie sich bis zum Frühling gedulden müssen, um ihr neues Auto zu bekommen. Es ist bis Juli sehr gut gelaufen, jetzt erleben wir das übliche kleine Sommerloch, aber ich bin guter Dinge, dass das wir diesen positiven Trend im September fortsetzen können.
Wie werden sich die Preise für Neuwagen in Zukunft entwickeln?
n den nächsten Jahren ist mit einer zunehmenden Preissteigerung zu rechnen. Die hohe Nachfrage gepaart mit der eingeschränkten Verfügbarkeit werden die Preise nach oben treiben. Das ist auch bei Ersatzteilen so. Auch die Preise der Zulieferbetriebe werden steigen, das wirkt sich auf den Preis von Neuwagen aus.
Es sind auf jeden Fall mit Preissteigerungen zu rechnen. Es wir jährlich, bei allen Anbietern, zwei Preissteigerungen geben. Wenn die nächste, noch strengere Abgasvorgabe kommt, wird es bei den Verbrennern so technisch komplex und aufwendig werden, Motoren zu bauen, dass hier sicher auch Preissteigerungen notwendig werden. Für die Zukunft wird das Elektroauto sicher das preisstabilste bleiben. Wenn man so oder so vor hat, in absehbarer Zeit ein Auto zu kaufen, ist es sicher ratsam, noch jetzt im Herbst eines zu kaufen.
Zur Person:
Erwin Cassar ist seit 38 Jahren im Autohandel aktiv und leitet als Geschäftsführer der Porsche Inter Auto eines der ältesten und größten Autohäuser der Landeshauptstadt. Mit Ende des Jahres wechselt Cassar in den wohlverdienten Ruhestand.