Wer als UnternehmerIn scheitert, hat nicht nur mit den wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen, sondern auch mit dem Stigma des Versagens. Dabei kann man Scheitern auch als Chance sehen.
Wer ein Unternehmen führt, geht ein Risiko ein. Das zeigt nicht nur die Praxis, sondern auch die Forschung. „Je nach Industrie scheitern 50 bis 80 Prozent aller Neuerungen und Innovationen“, weiß Johann Füller, Professor für Innovation und Entrepreneurship am Department of Strategic Management, Marketing and Tourism der Universität Innsbruck, der sich in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit intensiv mit dem Thema auseinandersetzt. Scheitern sei keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Das zeigen auch die Zahlen aus der Start-up-Szene: Nur eines von sieben Unternehmen übersteht die ersten Jahre.
Der Hauptgrund? Niemand kann die Zukunft wirklich vorhersagen. „Scheitern ist quasi fest im Spiel eines Unternehmens verankert“, erklärt Füller. Neben der Umsetzung und den eigenen Fähigkeiten spielen auch äußere Faktoren eine Rolle – das wirtschaftliche Umfeld, verfügbare Ressourcen, Bürokratie oder unerwartete Ereignisse. Meistens ist es nicht nur ein einziger Grund, der ein Unternehmen scheitern lässt.
„Je nach Industrie scheitern 50 bis 80 Prozent aller Neuerungen und Innovationen.“
Johann Füller,
Professor für Innovation und Entrepreneurship am Department of Strategic Management, Marketing and Tourism der Universität Innsbruck

Vorwürfe, Kritik und Scham
Trotz dieser Realität stoßen gescheiterte UnternehmerInnen oft auf wenig Verständnis. Viele müssen sich rechtfertigen – nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor ihrem Umfeld. In Ländern wie Österreich gilt ein gescheitertes Projekt noch immer schnell als persönliches Versagen. Auch Gaming-Experte Nikolaus Staudacher kennt diese Erfahrung nur zu gut: „Natürlich macht man sich selbst Vorwürfe. Man denkt, man hätte mehr sparen, mehr Kredite aufnehmen oder zusätzliche Liquidität sichern sollen.“ Am schlimmsten war für ihn jedoch die Kritik von außen, insbesonders die vorwurfsvolle Behandlung bei seinem Insolvenzverfahren vor Gericht.
Zwar fielen die äußeren Vorwürfe bei Ulrike Zimmermann geringer aus, dennoch blickt sie kritisch auf ihr eigenes Handeln zurück: „Mein Jura-Ich meldet sich heute deutlich: Ich habe keinen richtigen Vertrag abgeschlossen, sondern mich nur auf einen Handschlag verlassen.“ Sich die eigenen Fehler einzugestehen, gehöre dazu, doch übermäßige Kritik und Schuldzuweisungen von außen können schnell entmutigen und einen Neuanfang erschweren, weiß Professor Füller.
Geld ist das größte Problem?
Dass Scheitern mehr bedeutet, als nur Geld zu verlieren, haben sowohl Ulrike Zimmermann als auch Nikolaus Staudacher am eigenen Leib gespürt. „Ich bin erst einmal in ein richtig tiefes Loch gefallen. Dabei ging es nicht nur ums Geld, sondern vor allem um das Gefühl, dass ich mit dem Scheitern vielleicht meinen letzten Strohhalm im Business verloren habe“, erzählt Zimmermann. Hinzu kam großer Zweifel: „Darf ich überhaupt noch etwas verkaufen oder Business-Coachings geben, wenn ich mein eigenes Unternehmen gegen die Wand fahre?“
Auch Staudacher berichtet eindrücklich von den Folgen: „Mir sind sogar die Haare im Bart ausgefallen.“ Und auch er beschreibt, dass nicht der finanzielle Schaden das größte Problem war. „In Österreich ist man bei unternehmerischem Scheitern nicht existenzbedroht – vorausgesetzt, man hat ein soziales Netz. Vielmehr verliert man seine Bequemlichkeit und seinen Komfort.“
In Übersee läuft’s anders
In den USA gehen Menschen ganz anders mit unternehmerischem Scheitern um – lockerer, pragmatischer, ohne moralischen Zeigefinger. Fehler werden schneller verziehen, manchmal sogar als Zeichen von Engagement und Tatkraft gewertet. Füller bringt es auf den Punkt: „Wer nicht gescheitert ist, hat nicht hart genug probiert.“ Entsprechend sind UnternehmerInnen in den USA oft bereit, größere Risiken einzugehen – auch, weil das soziale Netz schwächer ausgeprägt und die Bürokratie deutlich schlanker ist.
Ganz anders sieht es in Österreich und vielen anderen europäischen Ländern aus. Hier prägen Sicherheitsdenken und ein ausgeprägtes Sozialsystem die Unternehmenskultur. Außerdem sei die Investitionsbereitschaft geringer und es fehle auch manchmal an Kapital, so Füller. Die Folge: UnternehmerInnen gehen seltener „all-in“ und haben weniger Spielraum für Experimente.
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Ulrike Zimmermann
(Business Coach)
Ulrike Zimmermann suchte zu Beginn ihrer Karriere lange nach dem richtigen Weg: Sie begann Studiengänge in Kulturtechnik und Wasserwirtschaft, Rechtswissenschaften und Non Profit Management. Schlussendlich brach sie ihre Studien ab, reiste nach Guatemala und ließ sich dort zur Yogalehrerin ausbilden. In den folgenden Jahren unterrichtete sie weltweit und entwickelte eine Onlineausbildung für angehende YogalehrerInnen. Dabei wurde ihr klar, dass viele ihrer TeilnehmerInnen nicht nur Yoga lehren, sondern auch lernen wollten, wie sie damit selbstständig werden können. Dadurch angespornt, entwickelte sie ein Business-Coaching-Angebot.
Einige Zeit später erbte sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter rund 40.000 Euro, die sie in ein neues Coaching-Projekt investierte. Gemeinsam mit einem Bekannten, der beruflich im Bereich Social-Media-Marketing arbeitete, baute sie dieses Onlineprogramm auf. Später stellte sich heraus, dass ihr Geschäftspartner das Geld – ebenso wie Gelder von Bekannten –
in riskante Spekulationen gesteckt und dabei über 150.000 Euro verloren hatte. Die Investitionssumme war weg – und für eine Weile auch ihr Vertrauen in sich als Unternehmerin. Heute hat Ulrike ihr Business wieder erfolgreich aufgebaut.

Nikolaus Staudacher
(Gaming-Experte und Veranstalter)
Nikolaus war schon früh ein begeisterter Gamer. Bereits in jungen Jahren gewann er den Staatsmeistertitel in einem bekannten Online-Sportspiel. Trotzdem startete er seine berufliche Karriere als Bankberater. Nach einem Seminar beim Motivationsredner Tony Robbins, das ihm sein Vater geschenkt hatte, entschied er sich schließlich, doch seiner Leidenschaft nachzugehen. Er kündigte seinen Job und eröffnete mit wenig Kapital einen Fachhandel für PC- und Konsolenspiele in Telfs. Drei Jahre lang arbeitete er mit vollem Einsatz, lebte sparsam und investierte jeden Euro in den Laden.
Als der Onlinehandel zunahm und der Preisdruck stieg, erkannte er, dass der klassische Handel nicht mehr zukunftsfähig war. Er baute den Laden zu einem öffentlichen Gaming-Raum um. Kurz vor der Eröffnung platzte jedoch die Finanzierung: Aufgrund der weltweiten Finanzkrise verlangte die Bank plötzlich 100 Prozent Eigenkapital. Trotz intensiver Bemühungen bei sieben Banken und potenziellen InvestorInnen ließ sich das Projekt nicht retten. Es folgten Konkurs, eine Gerichtsverhandlung und Jahre der Schuldentilgung. Heute hat sich Nikolaus seinen Platz in der Gaming-Szene in Tirol erobert und arbeitet als Berater für Land, Tourismusverbände und Firmen.

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Neue Sichtweise
„Ein konstruktiver Zugang zum Scheitern bedeutet, es nicht als Endpunkt, sondern als Teil eines Lernprozesses zu sehen“, erklärt Füller. „Man kann sagen, man habe sich geirrt oder sei gescheitert – oder man betrachtet diese Build-Measure-Learn-Schleifen als ganz normalen Bestandteil unternehmerischer Entwicklung.“ Damit lassen sich Irrwege schnell identifizieren und einer möglichen Insolvenz entgegenwirken.
Auch Ulrike Zimmermann hat diesen Weg durchlebt – und umgedacht. Zimmermann erinnert sich: „Ich musste alles noch einmal ganz neu zusammensetzen – fast wie eine zweite Gründung. Und das war gut so, denn im Rückblick muss ich sagen: Es hätte so, wie es war, gar nicht funktionieren können.“ Der Neustart hat sich ausgezahlt: „Heute mache ich – je nach Jahr – das Acht-, Neun- oder sogar Zehnfache von dem, was ich damals verloren habe.“
Auch Nikolaus Staudacher wagte nach dem Scheitern einen neuen Anlauf. Nach einem weiteren Versuch mit einem eigenen Spieleladen in Innsbruck, den er nach der Coronakrise aus Rücksicht auf seine Familie schloss, fand er seine Nische in der Beratung. Heute ist er mit seiner Agentur erfolgreich und organisiert unter anderem große Gaming-Events: „Im Juni veranstalte ich bereits zum zweiten Mal die Gamers Heaven Messe mit rund 4.000 Gästen.“ Sein Fazit: „Es auszuprobieren, zahlt sich immer mehr aus, als es gar nicht zu tun.“ Zimmermann sieht das genauso: „Wäre mir das damals nicht passiert, wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“
Für UnternehmerInnen ist es also entscheidend, Scheitern nicht als Niederlage zu begreifen, sondern als Quelle der Erkenntnis. Wer die eigenen Fehler ehrlich reflektiert, wer sich selbst vertraut und nicht aufgibt, kann daraus Kraft schöpfen. Und manchmal ist genau das der entscheidende Unterschied. Voraussetzung dafür sind aber die Bereitschaft zur Reflexion, ein gesundes Selbstbewusstsein und, so Füller, „idealerweise erfolgreiche Vorbilder und Leuchttürme, die zeigen, dass ein Comeback nicht nur möglich ist, sondern oft auch stärker macht“.
„Ein konstruktiver Zugang zum Scheitern bedeutet, es nicht als Endpunkt, sondern als Teil eines Lernprozesses zu sehen.“
Johann Füller