Der Salone del Mobile in Mailand ist wieder an seinem ursprünglichen Termin im April angekommen. Nicht zufällig scheint dieser richtungsweisende Event im Frühling stattzufinden – einer Zeit, die immer nach Aufbruch, Neubeginn und Frische verlangt. In diesem Jahr hat sich die Stadt selbst überboten. Ein Bericht über die Metropole der Lebenslust.
Die weltgrößte Einrichtungsmesse ist weit mehr als ein Termin für die Präsentation von Möbelneuheiten. Sie vermag es, eine ganze Stadt zum Kochen zu bringen. Vom 18. bis 23. April herrschte in Mailand wieder jener unbeschwerte Ausnahmezustand, den man vor der Pandemie kannte. Mehr noch – die Stadt war voller und lebendiger denn je. Immer schon schickt der Salone einen Esprit auch in die pulsierenden Stadtviertel Mailands. Hier finden Side Events statt, die um Welten mondäner sind, als es in einer Messehalle möglich wäre. Im Laufe einiger Tage entsteht so ein spektakulärer Eindruck dessen, wozu Design und Innenraumgestaltung heute fähig sind.
Atmosphäre, Atmosphäre, Atmosphäre
Wir bei Wetscher wissen, dass gute Innenarchitektur mehr ist, als das Aneinanderfügen von ausgesuchten Möbelstücken. Vielmehr geht es um das Kreieren eines Ambientes, das dem Menschen neue Perspektiven verschafft. Was in Mailand in diesem Jahr gezeigt wurde, bestätigt diese Haltung und lässt zugleich viel Raum für philosophische Interpretationen. Der gestalterische Gesamteindruck ist bei allen Präsentationen dekorativ und zurückhaltend, raffiniert und elegant sowie geradezu detailversessen. Kontrastiert wird diese Geradlinigkeit durch anschmiegsame, weiche Formen und warme Farben. Einmalige haptische Erlebnisse rufen ein Gefühl von Vertrautheit und Heimeligkeit hervor. Es entsteht der Eindruck, dass die Möbel für Halt und Geborgenheit sorgen möchten.
Multimaterialität in Perfektion
Während die klassischen Korpusmöbel exakt, scharfkantig und in immenser technischer Präzision ausgeführt sind, laden die Polstermöbel förmlich zum Versinken ein. Ergonomische Kurven und organische Rundungen sind mit plüschigen, hochflorigen Stoffen bezogen und scheinen eine Umarmung anzubieten. Teppiche aus einfachsten Materialien bringen ein Gefühl von Ursprünglichkeit in den Raum und eröffnen einen Spannungsbogen zu Glas und Metallschränken. Zu sehen ist ein nie dagewesener Mix aus Materialien – unheimlich gekonnt und überlegt eingesetzt. Leder, Holz und Stein, Marmor, Beton und Fell schaffen nicht nur vielfältige optische, sondern auch manuelle Reize. War bis vor kurzem alles noch glatt und geschliffen, lässt man den Materialien nun mehr Struktur. Oberflächen werden erfahrbar, Wände sind gespachtelt, offenporig, feinst geriffelt. Auch hier liegt der Gedanke nahe, dass den vielen cleanen, technischen Gegenständen des Alltags eine gewisse Ursprünglichkeit entgegengesetzt werden soll.
Freundliches Diktat der Natur
Auch die Farben scheinen in diesem Jahr die Gemüter eher beruhigen, als aufregen zu wollen. Gezeigt wurden sanfte Töne, Naturfarben in allen Schattierungen – Braun-, Sand- und Grautöne, die sehr respektvoll und einladend daherkommen. Terrakotta spielt eine maßgebliche Rolle – sowohl als Farbe, als auch als Material. Wenn mehr Farbe zu sehen ist, dann in verwässerten Berry-, Rot- oder Ackertönen. Als Kontrast haben einzelne Möbel schwarze Details aus Metall oder Holz, die für eine erwachsene Ernsthaftigkeit sorgen. Bunter als am Messegelände wird es in der Stadt – hier sind auch knallige Kontraste zu sehen, wie man sie nur in Italien aushält. Was dominiert ist Grün – und zwar in Form von üppigen Bepflanzungen, die bis über die Wände wachsen. Gedeckt bleibt es auch bei den Mustern. Wenn sie zu sehen sind, dann sich wiederholend, scharfkantig-geometrisch oder als freche Polka Dots.
Alles muss raus
Spielte das große Draußen schon in den vergangenen Jahren eine der Hauptrollen im Einrichtungsgeschehen, so ist der Outdoor Bereich nun endgültig auf seinem Zenit angekommen: Wirklich alle Premiummarken produzieren Gartenmöbel – mit Wittmann und Poliform haben die letzten beiden nachgezogen. Poliform zeigte im Kreuzgang des Klosters Chiostro Grande di San Simpliciano eine der schönsten Präsentationen der Messe.
Die Magie des Lichts
Die Leuchtenhersteller haben in diesem Jahr nicht nur in den Messehallen für Magie gesorgt, sondern die ganze Stadt mit raffinierter Technik und herausragendem Design verzaubert. Alles, was man mit LED beleuchten kann, leuchtet. Dabei ist das Licht nicht immer in einer Lampe gefangen: jedes Möbel, jede Ritze, jede Fuge scheint unsichtbar Licht zu spenden. Die Stimmung variiert nach Bedarf zwischen kalt und warm. Das Licht wandert mit funktionalen wie ästhetischen Akkuleuchten nach draußen, folgt in den Garten, lässt sich an verborgene Plätze mitnehmen. Skulpturale Leuchten, wie die Kunstwerke von Brokis, stehen innovativen Designobjekten gegenüber. Spezialist für letztere ist der für sein präzises Gesamtkonzept bekannte Hersteller Occhio, der mit einer spektakulären Präsentation in der Orangerie der Villa Necchi Campiglio - Drehort des vielfach ausgezeichneten Films „House of Gucci“ - für Furore sorgte.